Hochgeachteter Herr Präsident!
In der Beilage beehre ich mich, Ihnen die mir gefälligst zur Einsicht übergebenen Aktenstücke mit bestem Danke zurückzustellen.
Am bedenklichsten scheint mir der Inhalt des Briefes von Cattaneo zu sein. Offenbar hat im Kanton Tessin eine ziemliche Mißstimmung Platz gegriffen, die aus verschiedenen Ursachen entspringen mag, aber gleichwohl eine vollständige Deroute der Gotthard-Partei zur Folge haben könnte. Hier dürfte es angezeigt sein, durch persönliches Benehmen mit den Hauptpersonen an Ort & Stelle der augenblicklich herrschenden ungünstigen Strömung beförderlichst entgegen zu arbeiten. Gelangen die Gegner dazu, jene Mißstimmung für ihr Interesse gehörig auszubeuten, so kann die Sache leicht eine äußerst fatale Wendung nehmen
Nicht sehr trostreich ist sodann auch der Bericht der Delegation nach England. Man wird unter solchen | Umständen nicht umhin können, an eine Combination zur Beschaffung der Gelder mittelst einer Zinsengarantie zu denken. Freilich wird es auch hier fast unüberwindliche Schwierigkeiten geben, bei dem geringen Kredit, den Italien in der Finanzwelt genießt. Stünde es um diesen Kredit besser, so wird dagegen die Sache sich am allerleichtesten auf dem Wege einer Zinsen-Garantie machen lassen.
Zu letzterm Falle werde ich mir die Sache so denken: es werden gar keine Subventionen gegeben, dagegen wird aus den 70 Millionen, die man dazu bestimmen wollte, ein Garantiefond gebildet, dessen Zinsen während der Dauer der Bauzeit zum Kapital zu schlagen wäre. Dieser Fond hätte in erster Linie als Garantie zu dienen, darüber hinaus wäre dann noch von Italien, so weit erforderlich, die weitere Bürgschaft zu übernehmen, wogegen ihm aber ohne Zweifel | der Garantiefond, soweit er nicht für die Verzinsung des Baukapitals in Anspruch genommen wird, wenigstens bis zu einem gewissen Grade zu eigen gelassen werden müßte.
Würden jene 70 Millionen, anstatt während eines Zeitraumes von 16 Jahren, schon während der nächsten Jahre eingehohlt & die Gelder à 5% verzinslich gemacht werden können, so würde der Garantiefond mit der Vollendung des Tunnel's, d. h. in 16 Jahren, auf die Summe von fr 125,700,000 angewachsen sein. Der Zins derselben würde à 5% vom Zeitpunkt der Eröffnung der ganzen Linie an jährlich einen Betrag angeben von fr 6,285,000– Nach der Berechnung unserer Experten beläuft sich, bei einspurigem Bau der nördlichen & südlichen Anschlußlinien, der gesammte Baukostenaufwand auf fr 193,092,000– Hiebei ist der Bauzins eingerechnet, jedoch nur auf die Voraussetzung hin, daß die ganze Linie auf einmal dem Betriebe übergeben werde. |
Der jährliche Ertrag (à 5%) der oben erwähnten Garantiefonds wird hinreichen um das präsumirte Baukapital à 3,25% zu verzinsen, so daß zu einer 5%igen Verzinsung nur noch ein Reinertrag der Bahn von 1,75% nothwendig wäre. Das Rentabilitäts-Gutachten hat denselben berechnet zu 3,43%. Man könnte die Garantie vielleicht auf 6% stellen & auf eine bestimmte Zeitdauer beschränken, etwa auf 25–40 Jahre von der Eröffnung der Bahn an gerechnet, in der Meinung, daß der Garantiefond während dieser Zeit, wenn nöthig, zu Gunsten der Verzinsung des Baucapitals aufgezehrt werden dürfe.
Aus dem Briefe von Cattaneo habe ich die Ueberzeugung gewonnen, daß man mit dem Kanton Tessin nur dann in glatter Weise in's Reine kommen wird, wenn ihm die sofortige Ausführung des Sillar'schen Netzes zugesichert wird. Es wird dieser allerdings die Zinseinbuße möglicherweise um 5–10 Millionen | steigern. Allein es bleibt gewiß nichts anders übrig, wenn man die Sache nicht an diesem im Ganzen untergeordneten Punkt scheitern oder sich ungebührlich verzögern lassen will. Vielleicht läßt sich in Italien ja auch noch eine größere Subventions-Quote herausbringen, in welchem Falle dann die Sache nicht mehr sehr bedenklich wäre.
Entschuldigen Sie gütigst, daß ich Sie mit derartigen Rechenexempeln behellige & genehmigen Sie die erneute Versicherung meiner unwandelbaren Verehrung
Ihr
ganz
ergebener
G. Stoll.
Zürich, 18. September
1865.
Kommentareinträge
✲Nachträgliche Notiz oben links auf Seite 1 von dritter Hand mit Bleistift: «Finanzielles» .