Belvoir 9 Juni 1881.
Hochverehrter Herr & Freund!
Ihre lieben Zeilen vom 6. dß. sind mir richtig zugekommen. Sie erweisen in demselben dem Beschlusse des Verwaltungsrathes & denen, von welchen er ausgegangen, viel zu viel Ehre. Er war lediglich die Erfüllung eines einfachen Gebotes der Gerechtigkeit.
Der Wunsch, den Sie aussprechen, daß unser vereintes Wirken noch von langer Dauer sein möge, ist in vollem Umfange auch der meinige. Ihre Freundschaft ist mir ein unschätzbares Gut. Was ich Ihnen in jener erschütternden Stunde, die uns unsern Rüttimann entriß, über meine Gesinnungen Ihnen gegenüber sagte, bleibt gesagt & hätte ich nicht so sagen können, wenn es nicht für immer gesagt gewesen wäre.
Die Nachrichten, die Sie mir von | dem Erfolge Ihrer Cur geben, haben mich sehr erfreut. Doch hat Sie die nervose Erregtheit noch nicht ganz verlassen. Ich beschwöre Sie, Ihre Cur so lange andauern zu lassen, als der Arzt es für zuträglich hält.
Lydie dankt Ihnen herzlich für Ihre freundliche Theilnahme. Das arme Kind war so leidend, daß der Arzt sie zu Bette gehen ließ. Vor zwei Jahren, nachdem sie die fürchterliche Rückenmarkkrankheit überwunden, sagte mir Dr. Meyer, sie werde noch einige Jahre an schmerzhaften Neuralgieen zu leiden haben, die, vom Rücken ausgehend, sich über den ganzen Körper verbreiten. Diese Prophezeiung des Arztes hat sich leider erwahrt. Ich bin um des Zustandes von Lydie willen am Montag nicht nach Bern gegangen. Ich hätte es für eine wahre Grausamkeit gehalten, die arme Lydie | mit ihren Schmerzen allein zu lassen. Im Nationalrathe habe ich übrigens nichts versäumt. Wahrscheinlich werde ich nun nächsten Montag nach Bern gehen.
Heute war, wie Ihnen bekannt, Sitzung des Verwaltungsrathes der N.O.B. Wie die Dinge lagen, konnte ich keinen anderen Antrag stellen als den Reingewinn, welcher von der Direction in ihrer bereits gedruckten Rechnung, die als unabänderlich behandelt wurde, auf ca fr. 636/m beziffert wird, theils abzuschreiben, theils auf neue Rechnung vorzutragen, dann aber die Direction zu beauftragen, ein Programm über das von der N.O.B. hinsichtlich der Bauverpflichtungen zu beobachtende Verfahren dem Verwaltungsrathe vorzulegen. Der letztere Antrag wurde mit Noth (12 gegen 11 Stimmen) angenommen, der | erstere aber mit 14 gegen 7 Stimmen verworfen. Die 14 Stimmen sprachen sich für eine Dividende von 3% an die Prioritätsactionäre, für eine außerordentliche Einlage von fr. 100/m in den Erneuerungsfond & für Übertragung des Restes des Reinertrages auf neue Rechnung aus. Wie habe ich Sie bei der langen Debatte, in der ich meinen Standpunct ganz allein verfechten mußte, vermißt! Altwegg & Vogler, die durch unabweisbare amtliche Geschäfte verhindert waren, in der Sitzung zu erscheinen, haben schriftliche Protestationen gegen eine Dividendenauszalung eingesandt.
Es ist hohe Zeit, daß ich schließe. Noch einmal. Wie gerne wir Sie auch haben, kommen Sie uns nicht zu frühe zurück. Wir möchten Sie eben ganz hergestellt wiedersehen.
In alter & unveränderlicher Gesinnung
Ihr
Dr A Escher