Bern d. 2. Sept. 1863.
Mein lieber Freund!
So eben in den Besitz Deiner werthen Zeilen von gestern gelangt, will ich nicht ermangeln, Dir noch
mitzutheilen, daß die Regierung von Bern gestern od. vorgestern beschlossen haben soll,
den Großen Rath einzuberufen, um ihm drei zusammenhängende Maßregeln vorzuschlagen, nämlich
1. grundsätzliche
Verpflichtung zur Erbauung der Jurassischen Eisenbahnen;
2. Juragewässerkorrektion.
3. Beitritt zur Gotthardkonvention.1
Das Nähere ist mir noch nicht bekannt; sicher aber ist, daß die Regierung diese 3 Dinge in Einem Knopf zusammenfaßt.
Was die Wahl des Gesandten nach Turin anbelangt, | so wird diese jedenfalls in Bälde erfolgen, da Hr. Fornerod2 &. Hr. Stämpfli nächstens fortgehen. Dagegen wird es jedenfalls Mitte October werden, bis der Gesandte seinen Posten beziehen kann. Wenigstens läßt sich dieß vermuthen.
Der Lärm über die Gotthard konferenz war zu erwarten &. zwar sowohl von Seiten der Rückkaufsmänner, wie von Seiten der Lukmanier- &. Simplonkantone. Ich glaube Dir vor einem Jahre schon prophezeit zu haben, daß diese sich unter Umständen vereinigen werden. Das hat mich daher nicht in so große Verwunderung gesetzt. Die Drohung, daß man jetzt auch Rückkäufler werden wolle, ist übrigens lächerlich. Es mag ganz leicht | möglich sein, daß man in Ost &. West gern verkaufen würde; allein ich sehe die Liebhaber zum Kaufen nicht.
Dagegen muß ich gestehen, daß ich es in keiner Weise begreifen kann, daß die N.Z.Z. mit der Bundessubsidienfrage vorgerückt ist.3 Ich betrachte dieß als einen entschiednen Mißgriff.
Es freut mich, daß der Streit im Schulrathe zu einer befriedigenden Lösung gelangt ist; es herrscht überall viel Eifersucht gegen Zürich vor.
Indem ich Dir & Deiner verehrten Frau Gemahlin4 glückliche Reise wünsche ins Land, wo die Zitronen blühen, grüßt Dich aufs freundschaftlichste
Dein
Jb. Dubs.
Kommentareinträge
1Der vom Regierungsrat des Kantons Bern Anfang September 1863 beschlossene Beitritt zur Gotthardvereinigung kam im Grossen Rat am 3. Februar 1864 zur Verhandlung. Dieser beschloss, die Behandlung des Geschäfts zu verschieben, ohne sich materiell zur Beitrittsfrage geäussert zu haben.Vgl. Volmar, Alpenbahnpolitik, S. 103–105; Intelligenzblatt für die Stadt Bern, 4. Februar 1864; Alfred Escher an Jakob Dubs, 1. September 1863. – Vor einer Verschiebung der Gotthardangelegenheit warnte Escher inAlfred Escher an Karl Schenk, 3. September 1863 eindringlich.
2 Constant Fornerod (1819–1899), Bundespräsident (VD).
3Die NZZ hält zur Frage der Bundessubvention für eine Alpenbahn fest: «Wir halten es für möglich, aber nicht für wahrscheinlich, daß ein Alpendurchstich ohne finanzielle Betheiligung des Bundes zu Stande komme; jedenfalls darf aber diese Betheiligung nur den Charakter einer Ergänzung der nicht ausreichenden Privatkräfte haben.» NZZ, 15. August 1863. Vgl. beispielhaft NZZ, 9. August 1863, 11. August 1863, 21. August 1863, 24. August 1863, 19. September 1863. – Escher erblickte in den Äusserungen der NZZ zur Bundessubvention «kein großes Unglück» . Alfred Escher an Jakob Dubs, 5. September 1863.
4 Augusta Escher-Uebel (1838–1864), Tochter der Juliane Charlotte Uebel-von Geiger und des Oberstleutnants Bruno Uebel aus Dessau; ab 1857 Ehefrau Alfred Eschers.