Bern d. 9. April 1863.
Mein lieber Freund!
Es ist Dir vielleicht von Interesse zu hören, daß die Gesellschaft Monton (Erbauer der Franco-Suisse), dessen Agent Stoppani ist, alle Aussicht hat, die verlangten Eisenbahnkonzessionen im Kt Tessin, inbegriffen die Lukmanierkonzession, zu erlangen. Es seien alle Parteien darüber einig, nebst der Regierung auch Battaglini, Jauch u. a. Demzufolge haben sich alle Tessinischen Blätter, auch die Gazetta des Herrn Velladini dem Stämpflischen Projekt abgewendet &. eine feindliche Haltung dagegen eingenommen. Hr. Stoppani war hier &. legte dem Herrn Stämpfli 2. Fragen vor:
1. Wird Ihr Projekt das meinige beeinträchtigen? Antwort von Stämpfli: Ich denke Nein.
2. Beharren Sie überhaupt auf ihrem Projekt? A. O ja gewiß.
Man hat mich gefragt, ob Du gegen Ertheilung der Lukmanierkonzession feindlich auftreten würdest? Ich habe geantwortet, ich wisse es natürlich nicht; indeß lasse mich die früher von Dir &. von der Reg. von Zürich eingenommene Stellung vermuthen, daß Ihr Euch nicht feindlich, sondern höchstens passiv dazu verhalten werdet.
Die obigen Mittheilungen kommen aus der Dir bekannten zuverläßigen Quelle, von welcher auch letztere Anfrage an mich geschah. Ich denke mir, es würde | eine feindselige Stellung gegenüber dem Lukmanierprojekt so sehr mit unsern Grundsätzen, Antecedentien &. natürlichen polit. Interessen im Widerspruch sein, daß sie wohl für uns eine Unmöglichkeit wäre. Oder was denkst Du von der Sache? Es scheint mir, daß wenn etwas zu Stande kommen sollte, eine aktive Betheiligung Zürichs aus bekanntem Gründen stark indicirt wäre.
Nun noch eine zweite vertrauliche Mittheilung. Frankreich droht die Unterhandlungen über den Handelsvertrag abzubrechen. Der Stein des Anstoßes ist abermals die Savoyerfrage. Frankreich verlangt für Chablay &. Faucigny gewisse Gränzerleichterungen, überhaupt eine ähnliche Stellung als freie Zone, wie dieß Gebiet sie Frankreich gegenüber hat. Der Bundesrath hat dahin instruirt, es sollen diese Begehren abgewiesen werden, bis die politische Frage bereinigt sei. Gewährung [...?]nes Verlangens würde ebenso sehr die politische Stellung der Schweiz kompromittiren, als die Interessen von Genf &. Waadt gefährden. – Die französ. Regierung hat, nachdem sie die Köder für die Schweiz ausgehängt hat, nun auf einmal diese Frage in den Vordergrund geschoben &. will offenbar eine implicite Verzichtleistung oder Anerkennung der Schweiz auf das neutrale Gebiet verlangen. Dro[gue?] de l'Huis sprach in dieser Art mit Kern; schrieb eine entsprechende Note hieher an Turgot &. dieser erlaubte sich sogar dem Herrn BPräs. Fornerod zu sagen: «Er wünsche, daß Hr. Stämpfli bald wieder Päsident | werde, der werde es wagen!»
Ich glaube, es werde Frankreich mit seiner Drohung nicht Ernst machen; denn es ist ihm an dem Handelsvertrag auch gelegen. Aber selbst auf die Gefahr hin, daß es Ernst machen wird, wäre ich in diesem Punkte für Festhalten. Frankreich hat Savoyen mit dem Versprechen der freien Zone gekauft &. es kommt mir vor, es handle sich gegenwärtig darum, ob wir einen Theil des Kaufpreises bezahlen sollen. Man könnte ebensogut für die Franche Comté &. das Elsaß ähnliche Begünstigungen verlangen; warum sollen wir gerade an Savoyen solche gewähren? (Notabene die an Italien schon concessionirten würden fortbestehend gelassen, wie dieß schon jetzt der Fall ist.) Concessionen auf diesem Gebiete, ohne vorherige Erledigung der politischen Frage, scheinen mir daher in der That einen gewissen unehrenhaften Beigeschmack zu haben. Ich glaube, daß es unsere Stellung &. Politik ist, hier zu beharren &. vorkommenden Falls den käsefabrizirenden Kantonen &. ihren Repräsentanten die Wegräumung dieser Hindernisse des Vertrags zu überlassen. Was denkst Du davon?
Du wirst das Sätzchen der Berner Zeitung ( Montags?) beachtet haben, das eine Bundesrevision in Aussicht nimmt. Man schreibt es Stämpfli zu. – Ich glaube bei näherm Studium selbst, daß wir den französ. Handelsvertrag ohne Bundesrevision fast nicht abschließen können, wenn wir uns nicht den Vorwurf machen lassen wollen, wir künsteln &. verdrehen die bestehende Verfassung. | Ich bin damit beschäftigt, die einschlägigen Fragen etwas näher zu studiren. Es schiene mir gut, wenn Zürich sich in der Frage vor der Hand etwas zurückhaltend benehmen würde d. h. weder feindselig noch zustimmend. Inzwischen sollten wir unser bestimmtes positives Programm formuliren &. dann mit ganzer Kraft dafür einstehen. Wenn Du einverstanden ist, so verständige gelegentlich die N.Z.Z. darüber, damit sie keine Bockssprünge macht.
Ueber Bernische Verhältnisse wird Dir denke ich Hr. v. Graffenried einige Mittheilungen gemacht haben. Ich höre aber auch aus andern Quellen, daß die Regierung ganz zerfallen sei. Wenn Schenk, immerhin das talentvollste Mitglied, wirklich nicht mehr aufkommt, wie selbst seine Aerzte es muthmaßen, so sei der Sturz nicht mehr aufzuhalten. Es kommen da böse Stunden.
Doch ich ende. Es grüßt Dich aufs freundschaftlichste
Dein ergebenster
Jb. Dubs.