Bern d. 23. Decbr 1862.
Mein lieber Freund!
Am letzten Samstag traf ich die Berner nicht mehr in Olten &. ich hatte seither auch noch keine Gelegenheit, mit Scherz1 &. Niggeler2 über das Eisenbahnthema zu sprechen. Dagegen traf ich in Olten noch LdA. Keller3, der sich scharf gegen das Projekt Stämpfli aussprach; in gleicher Weise äußerten sich auch Zschokke4 Ing. &. einige Aarauer Kaufleute.
Ich fuhr dann mit Ständerath Jecker5 von Solothurn bis Herzogenbuchsee. Er sagte mir, auch in Solothurn sei man gegen das Projekt; sie haben noch keine Lust, eine Landvogtei von Bern zu werden. Es werde das Projekt Herrn Stämpfli sehr schaden, was er bedaure. Auf Befragen sagte er mir, er habe mit Vigier6 &. Kaiser7 noch nicht gesprochen; Hingegen mit der Mehrzahl seiner Kollegen, die auch seiner Ansicht seien.
Am Montag &. gestern sprach ich Demieville8, Bieder9 &. Ammann10.
Demieville sagt, in Waadt finde das Projekt keinen Anklang. Die Mehrheit der Regierung sei ebenfalls dagegen; wie man ihm sage, | auch Eytel11. Die Helvetia habe sich sr. Zeit ausdrücklich gegen jede Centralisation der Eisenbahnen ausgesprochen. Von Neuenburg &. Genf wüßte er nichts Näheres. Dagegen hat Allet12 sich auch ihm gegenüber in oppositioneller Art ausgesprochen.
Bieder erklärt, in Basel &. Baselland sei so zu sagen Einmuth gegen das Projekt &. zwar auch unter den Rollianern13. Das Volk wisse, daß der Kanton beim jetzigen System auch finanziell gut fahre, indem sie alljährlich 20–30,000 Fr. mit ihrer Staatsbetheiligung profitiren. Die Sachen mögen sich daher in Baselland gestalten, wie sie wollen, so sei von ihnen nichts zu befürchten.
Zu meinem Erstaunen sagte mir dagegen Ammann, das Projekt werde in Schaffhausen gut aufgenommen. Peyer &. sein Anhang seien dafür; ebenso aber auch der Mittelstand. Ihn (A.) plagen nur finanzielle Bedenken, während ihm die politischen Consequenzen recht wären; Schaffhausen neige sich mehr der Centralisation zu aus Rücksicht auf seine exzentrische Lage &. Kleinheit. Nach längerer Besprechung erklärte er mir, er habe es im Sinne zu machen, wie die Nation Suisse, nämlich sich im Prinzip dafür &. in praxi dagegen zu erklären.|
Hoffmann14 habe ich nicht gesehen; dagegen sagte mir Bieder, er habe sich mit großer Bestimmtheit gegen das Projekt ausgesprochen. Ueber die Stimmung in St. Gallen wirst Du übrigens das Nähere durch Weder15 erfahren; es wird mich freuen, wenn Du mich au courant hältst.
Demiéville hat im Sinne, anläßlich der Neuenburger anleihensfrage im Nationalrathe ein Vorgefecht zu engagiren. Hr. Fierz wird Dir wohl das Nähere darüber berichten.16 Ich bin nur im Zweifel, ob es nicht wohlgethan wäre, durch eine förmliche Schlußnahme den Bundesrath zu hindern, sich in eine Betriebsconvention einzulassen. Ich muß gestehen, daß ich eine solche Schlußnahme einerseits für den vorgesetzten Zweck entsprechender &. zugleich der Stellung der Bundesversammlung für angemessener halten würde, als eine positive Vorschrift, wie der Bundesrath das Guthaben zu realisiren habe. Mit dieser letztern nehmt Ihr dem Bundesrathe seine Verantwortlichkeit ab &. setzt Euch noch dem Vorwurfe aus, daß Ihr die Bundesfinanzen schwächt. Mir gefiele am besten eine Schlußnahme, die dahin ginge, BRath solle beförderlich ein Abkommen; wenn auch mit Einbuße, zu treffen suchen &. auf die Sommersitzung neuen Bericht erstatten; unter allen Umständen aber habe BRath sich jeder Betheiligung am Betriebe der Bahn zu enthalten. Ueberleg Dirs noch!|
In der Angelegenheit der Eisenbahninanspruchnahme in Kriegsfällen hat der Bundesrath den dritten Abschnitt «Tarifbegünstigungen &. Entschädigung der Eisenbahnen» einmüthig zu neuer Verhandlung zurückgewiesen.17 Ich habe Dir darüber schon früher meine Bedenken ausgeprochen &. sie sind von Tag zu Tag stärker geworden. Die Art, wie sich St. &. Fd.18 über das Projekt aussprachen, bestärkte mich neuerdings in meinem Verdachte, daß man beabsichtigte, diese Frage für die Diskussion der zu benutzen, um darzuthun, daß der Bund selbst in Kriegsfällen unter dem bestehenden System des Privatbetriebs mehr leiden würde, als wenn er selbst Herr der Eisenbahnen wäre. Ich halte es für weit zweckmäßiger, wenn ohne weiteres Detail den Eisenbahngesellschaften einfach volle Entschädigung zugesichert wird für die Zeit, während der man die Eisenbahnen zur Hand nimmt. Es scheint mir kein Bedürfniß vorhanden zu sein, zum voraus Weiteres zu reguliren. Es scheint mir überhaupt gut, der Zeit alles zu vermeiden, was auch nur den Schein einer Begünstigung der Eisenbahngesellschaften hätte. Ich wollte nicht ermangeln, Dir meine dießfällige Anschauungsweise offen mitzutheilen.
In der Hoffnung, daß Du am Samstag glücklich nach Hause gekommen seiest &. mit dem Wunsche einer recht fröhlichen Weihnacht grüßt Dich freundschaftlich
Dein ergebenster
Jb. Dubs.
P. S. Von zuverläßiger Seite erfahre ich, daß St. letzthin wirklich mit dem Vorsatze abgereist ist, nach Paris zu gehen &. zwar, um sich namentlich mit den Pariser Banquiers zu besprechen &. sich gleichzeitig beim Kaiser zu präsentiren. Er sei aber in Genf zurück gehalten worden, man vermuthet wegen des Rothschildschen Festes, das gerade in jene Tage fiel.
Kommentareinträge
1 Jakob Scherz (1818–1889), Regierungsrat und Nationalrat (BE).
2 Niklaus Niggeler (1817–1872), Nationalrat (BE), Redaktor der «Berner Zeitung» und Schwager Jakob Stämpflis.
3 Augustin Keller (1805–1883), Regierungsrat und Nationalrat (AG), Landammann seit 1857, Mitglied des Eidgenössischen Schulrats, Mitglied des katholischen Kirchenrates (AG).
4 Peter Olivier Zschokke (1826–1898), Ingenieur.
5 Amanz Jecker (1817–1875), Ständerat (SO).
6 Josef Wilhelm Vigier (1823–1886), Regierungsrat und Ständeratspräsident (SO), Bundesrichter.
7 Simon Kaiser (1828–1898), Kantonsrat und Nationalrat (SO), Direktor der Solothurner Bank.
8 Jean-Louis Demiéville (1809–1876), Grossrat und Nationalrat (VD), wichtiger Redaktor des «Journal d'Yverdon».
9 Daniel Bieder (1925–1910), Regierungsrat und Nationalrat (BL), Mitbegründer der «Basellandschaftlichen Zeitung».
10 Johann Heinrich Ammann (1820–1867), Nationalrat (SH).
11 Jules Eytel (1817–1873), Staatsrat und Ständerat (VD).
12 Alexis Allet (1820–1888), Staatsrat und Nationalrat (VS).
13Gemeint sind die Anhänger des Demokraten Christoph Rolle (BL), politischer Gegner Daniel Bieders (BL). Im Kanton Basel-Landschaft wurde zu dieser Zeit um eine Verfassungsrevision gerungen. In der Volksabstimmung vom 22. März 1863 setzten sich die Anhänger Rolles mit einer erheblichen Erweiterung der Volksrechte durch, zu denen das obligatorische Gesetzesreferendum, die Volkswahl der Regierung, das Initiativrecht und das Abberufungsrecht des Landrats gehörte. Vgl. Der Bund, 25. März 1863; HLS online, Bieder [Bider] Daniel; HLS online, Rolle Christoph; Oeri, Rolle, S. 20–40; Epple, Revi-Bewegung, S. 215–226. – Zur Demokratischen Bewegung im Kanton Basel-Landschaft vgl. Blum, Basel-Landschaft.
14 Karl Hoffmann (1820–1895), Anwalt, Kantonsrat (SG).
15 Johann Baptist Weder (1800–1872), Grossrat und Nationalrat (SG).
16Es handelt sich um ein während des Neuenburger Handels aufgenommenes Darlehen, das der Bundesrat – weil ein Krieg zwischen Preussen und der Schweiz verhindert werden konnte – zur Finanzierung von Eisenbahngesellschaften verwendet hatte. Sowohl Jean-Louis Demiéville (VD) als auch Johann Heinrich Fierz (ZH) gehörten der nationalrätlichen Kommission zum Anleihen an den Jura industriel an. Vgl. Bericht des Bundesrathes an die h. Bundesversammlung über den Stand des Anleihens an die Eisenbahngesellschaft des Jura industriel (vom 5. Dezember 1862), in: BBl 1862 III, S. 585–620; Bericht der Kommission des Nationalrathes in Sachen des Anleihens an die Eisenbahngesellschaft des Jura industriel (vom 19. Januar 1863), in: BBl 1863 I, S. 529–535.
17 Vgl. Verordnung über die den Eisenbahnverwaltungen für Militärtransporte zu bezahlenden Tarife (vom 24. Dezember 1862), in: BBl 1862 III, S. 662–663; Bericht des schweiz. Bundesrathes an die h. Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahr 1862, in: BBl 1863 II, S. 434.
18Gemeint sind die Bundesräte Jakob Stämpfli und Constant Fornerod.