Mein lieber Freund!
Du bist von den erfreulichen abschließlichen Entscheidungen der Cantone Zürich & Zug, sowie der N.O.bahngesellschaft unterrichtet. Hoffentlich wird der Große Rath von Luzern heute noch den Schlußstein legen!1
Wir müssen nun, wie mir scheinen will, darauf hinwirken, daß die Bundesversammlung die Genehmigung der Conzessionen baldmöglichst aussprechen kann. Es wäre sehr wünschbar, wenn diese Frage gleichzeitig mit der Angelegenheit der Bern'schen Staatsbahn vor den Räthen schweben würde & auch abgesehen davon ist Beförderung in hohem Grade räthlich, weil man erfahrungsgemäß nie wissen kann, was während einiger Wochen bei versammelten Räthen in Conventikeln dieser oder jener Art ausgebrütet werden kann.2
Ich werde nun darauf hinwirken, daß die Cantone Zürich, Luzern & Zug die Conzessionen baldmöglichst dem Bundesrathe zu Handen der Bundesversammlung einsenden.3 Ich habe hier, wo die Conzessionsentwürfe gedruckt worden sind, den Satz stehen lassen. Der abschließliche Druck der Conzessionen kann also in Zürich so zu sagen von einem Tage auf den andern bewerkstelligt werden. Ich werde unsere Canzlei veranlassen, sich mit den Staatscanzleien der Cantone zu diesem Ende | hin in das erforderliche Vernehmen zu setzen.
Nun könnte aber die Sache noch auf einem andern Wege gefördert werden. Das Bundespräsidium wird die beim Bundesrathe eingehenden Conzessionen dem Departemente des Innern & den Bauangelegenheiten überweisen. Wahrscheinlich wird dieß nicht mit der größten Beschleunigung geschehen & wenn das Departement seinen Antrag gestellt hat, so wird vielleicht von übelwollender Seite her Niederlegung auf den Canzleitisch verlangt werden, obgleich die Sache sehr einfach ist. Um nun daherige Verzögerungen, wenigstens soviel an uns, zu verhindern, wäre es gewiß sehr wünschbar, daß Herr Pioda den Entwurf zu dem Genehmigungsbeschlusse der drei Conzessionen jetzt schon ausarbeite, um ihn sofort nach erfolgter Überweisung dem Bundesrathe vorlegen zu können. Ich möchte Dich nun ersuchen, darauf hinwirken zu wollen, daß dieß geschehe, sowie auch, soweit thunlich, Hrn. Pioda, der in Sachen vielleicht noch nicht ganz zu Hause ist, bei der Ausarbeitung des Entwurfes behülflich zu sein. Ich lege diesen Zeilen ein Paar Exemplare des Vertrages mit den Conzessionen bei, da Hr. Pioda vielleicht noch keine solche besitzt.
Selbstverständlich ist der Bundesversammlung nur Vorlage der Conzessionen zu machen & nicht auch des Vertrages. Der letztere scheint mir auch nicht dem Bundesrathe vorgelegt werden zu müssen. Ist auch der Wortlaut von Art. 7 der Bundesverfassung4 in dieser Beziehung nicht ganz entscheidend, so spricht doch die Praxis gegen die Vorlage an den Bundesrathe. Die Verträge von Zürich mit Thurgau, mit Schaffhausen, mit | St.Gallen, mit Thurgau & Aargau (Rückkaufsrecht) in Eisenbahnangelegenheiten sind meines Wissens weder von der Regierung von Zürich noch von den Regierungen der andern betheiligten Cantone dem Bundesrathe vorgelegt worden. Wärest Du hierüber abweichender Ansicht, so bitte ich Dich um gef. umgehenden Bericht, damit ich noch vor meiner Abreise von Bern mit Herrn Zehnder5 Rücksprache nehmen könnte. Müßte übrigens auch der Vertrag dem Bundesrathe vorgelegt werden, so wäre wohl eine Beanstandung desselben durch die Mehrheit des Bundesrathes nicht zu gewärtigen.
Bald hoffe ich nun über alle diese Dinge mich mündlich mit Dir unterhalten zu können. Inzwischen empfange freundschaftliche Grüße von
Deinem
A Escher
Belvoir
10 Janr 1862.
Kommentareinträge
1Die Kantone Zürich und Zug hatten den Vertrag zum Bau der Eisenbahnlinie durch das Reppischtal vom 14. Dezember 1861 am 6. bzw. 9. Januar 1862 genehmigt, während der Kanton Luzern erst am 1. Februar 1862 nachzog. Zuvor war am 11. Januar 1862 der vom Luzerner Regierungsrat abgeschlossene Vertrag überraschenderweise abgelehnt und erst genehmigt worden, nachdem von privater Seite die Deckung des Zinsausfalls auf zehn Jahre zugesichert und die Staatsbeteiligung dadurch verringert werden konnte. Vgl. Vertrag zwischen den hohen Ständen Zürich, Luzern und Zug und der schweizerischen Nordostbahngesellschaft, betreffend Begründung einer Eisenbahnunternehmung Zürich–Zug–Luzern (vom 14. Dezember 1861), in: BBl 1862 II, S. 596–606; Konzession des Standes Zürich für eine Eisenbahn von Altstätten an die Zürich–Zugersche Kantonsgränze bei Knonau (vom 6. Januar 1862), in: BBl 1862 II, S. 606–614; Konzession des Standes Zug für eine Eisenbahn von Zug–Züricher'schen Kantonsgrenze bei Knonau nach der Stadt Zug und von Zug an die Zug–Luzern'sche Kantonsgrenze bei Honau (vom 9. Januar 1862), in: BBl 1862 II, S. 614–622; Konzession des Standes Luzern für eine Eisenbahn von Luzern nach der Luzern–Zuger'schen Kantonsgrenze bei Honau (vom 1. Februar 1862), in: BBl 1862 II, S. 623–630; NZZ, 7. Januar 1862, 4. Februar 1862. – Zu den Reaktionen auf die Ablehnung vom 11. Januar 1862 vgl. NZZ, 14. Januar 1862, 16. Januar 1862, 17. Januar 1862, 18. Januar 1862, 22. Januar 1862; Alfred Escher an Jakob Dubs, 31. Dezember 1861.
2Zur Bernischen Staatsbahn vgl. Aus den Verhandlungen des schweiz. Bundesrathes (vom 12. November 1861), in: BBl 1861 III, S. 125–126; Bericht der Kommission des Nationalrathes, betreffend die Bernische Staatseisenbahn (vom 15. Januar 1862), in: BBl 1862 I, S. 410–413; Zur Eisenbahngeschichte, Fussnote 198.
3Der Bundesrat beschloss bereits am 3. Februar 1862, der Bundesversammlung diese Konzessionen vorzulegen. Genehmigt wurden sie am 6. Februar 1862. Vgl. Aus den Verhandlungen des schweiz. Bundesrathes (vom 3. Februar 1862), in: BBl 1862 I, S. 304; Aus den Verhandlungen der schweiz. Bundesversammlung (vom 8. Februar 1862), in: BBl 1862 I, S. 317; Bericht des schweiz. Bundesrathes an die h. Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahr 1862, in: BBl 1863 II, S. 508–509.
4 «Besondere Bündnisse und Verträge politischen Inhalts zwischen den Kantonen sind untersagt. Dagegen steht ihnen das Recht zu, Verkommnisse über Gegenstände der Gesezgebung, des Gerichtswesens und der Verwaltung unter sich abzuschließen; jedoch haben sie dieselben der Bundesbehörde zur Einsicht vorzulegen, welche, wenn diese Verkommnisse etwas dem Bunde oder den Rechten anderer Kantone Zuwiderlaufendes enthalten, deren Vollziehung zu hindern befugt ist. Im entgegengesezten Falle sind die betreffenden Kantone berechtigt, zur Vollziehung die Mitwirkung der Bundesbehörden anzusprechen.» BV 1848, Art. 7.
5 Ulrich Zehnder (1798–1877), Bürgermeister bzw. Regierungsrat und Grossrat (ZH).