Bern d. 16. Sept. 1861.
Mein lieber Freund!
Auf Deine verehrl. Zeilen vom gestrigen Datum, in welchen Du den angelegentlichen Wunsch aussprichst, daß ich mich darüber erklären möchte, welche Stellung ich gegenüber Bestrebungen einnehmen werde, welche auf Uebernahme der Eisenbahnen durch den Bund gerichtet sind: nehme ich keinen Anstand Dir zu erwiedern, daß ich, wie ich seiner Zeit gegen die Erbauung der Eisenbahnen durch den Bund1 gestimmt habe, jeder Zeit auch gegen Uebernahme derselben durch den Bund stimmen &. mich gegen jene Tendenzen, wenn Sie hervortreten sollten, mit allen Kräften entgegenstemmen werde.|
Ich finde mich veranlaßt, dieser Erklärung zur Hebung eines, wie es scheint, obwaltenden Mißverständnisses noch beizufügen, daß die Frage des Zustandekommens der Reppisch bahnunternehmung, so sehr letztere auch von mir gewünscht wird &. so sehr ich Dir für deren Verwirklichung dankbar sein werde, mit dem obigen Programm in keiner Weise im Zusammenhange steht; denn jenes Erstere ist für mich eine Frage der politischen Ueberzeugung, letzteres ein davon unabhängiger Wunsch um Berücksichtigung meines Heimatbezirks.
Schließlich bitte ich Dich, nachdem ich Deinem Wunsche genüge gethan zu haben | glaube, mir auch nicht zu verübeln, wenn ich Dir ebenfalls mit voller Freimüthigkeit, wie sie unter Freunden bestehen soll, mein etwelches Befremden über Deine Anfrage nicht verbergen kann. Ich hätte in der That nicht geglaubt, daß in Beziehung auf den angeregten Punkt Zweifel über mein Programm bestehen könnten. Im übrigen glaube ich auch versichert zu sein, daß diese Zweifel, wie Du selbst andeutest, nicht bei Dir bestehen, sondern daß sie aus andern Quellen stammen, muthmaßlich aus den nämlichen mir hinreichend bekannten Quellen, welche in neuerer Zeit mit so vielem Eifer beleidigende Zweifel &. Verdächtigungen gegen mich in Scene zu setzen bemüht sind.2
Indem ich mich Deinem Wunsche gemäß beeilte, Dir diese Antwort zu ertheilen, füge | ich derselben noch freundschaftliche Grüße bei, mit welchen ich verbleibe
Dein ergebener
Jb. Dubs.
Kommentareinträge
1Jakob Dubs bezieht sich hier auf die Abstimmung vom 28. Juli 1852 über das Eisenbahngesetz, welches Bau und Betrieb der Eisenbahnen den Kantonen und privaten Eisenbahngesellschaften übertrug. Vgl. Bundesgesez über den Bau und Betrieb von Eisenbahnen im Gebiete der Eidgenossenschaft (vom 28. Juli 1852), in: AS III, S. 170–176; Bundesgesetz vom 28. Juli 1852, in: Kern, Repertorium I, S. 39.
2Dubs war am 30. Juli 1861 für den im Amt verstorbenen Jonas Furrer in den Bundesrat gewählt worden. Nach einem vierwöchigen Urlaub hatte er am 2. September 1861 sein neues Amt angetreten. Seine Wahl war vor allem bei den Bernern – hauptsächlich wegen seiner in der NZZ publizierten fünf Artikel zur Savoyer Frage – umstritten gewesen. Dubs hatte darin für eine gemässigte und diplomatische Haltung gegenüber Frankreich plädiert, was ihm in diesen Kreisen als Verrat angelastet worden war. Vgl. Prot. BR, 31. Juli 1861; Berner Zeitung, 29. Juli 1861, 1. August 1861; Züricher Post, 14. Februar 1902, 4. Januar 1903, 25. Januar 1903; Blumer, Erinnerungen, S. 35(c–d); Dubs, Tagebücher, 4. September 1861, 5. September 1861, 6. September 1861, 12. September 1861; Zur Schweizer Aussenpolitik und Aussenhandelspolitik der 1850er und 1860er Jahre, Absatz 35; Alfred Escher an Johann Heinrich Fierz, 27. Mai 1860, Fussnote 8.