Hochverehrtester Herr und Freund!
Ich war schon vor meiner Abreise von Zürich einmal unterwegs, um Sie mit einem persönlichen Lucmanier besuch zu belästigen. Ein so heftiger Platzregen, der trotz Fenster und Schutzleder den Wagen zu überschwemmen drohte, befreite Sie damals von dieser Heimsuchung!
Da ich seit meiner Rückkehr von Turin 1 nur wenige Tage in Zürich weilte, glaubte ich später wieder dahin zurück zu kehren und verschob mein Anliegen daher auf eine mündliche Besprechung.
Seither ist Ihnen dieses nun durch Herrn Michel und Herrn Boller bereits geoffenbart worden und ich hoffe nun, daß es diesen, besser als mir möglich gewesen wäre, gelungen sei, Ihr Protectorat dem Lucmanier noch in entscheidender Stunde zuzuführen. | Sie kennen die Sachlage bereits und ich will daher solche nicht unnöthiger Weise hier auseinander setzen. –
Die Regierungen und Großen Räthe von Bündten und Tessin haben die Conzessionen verlängert2 und lezterer Kanton will die Eisenbahnfrage in der Ebene, wenn nöthig, selbst mit eignem Hinzuthun an die Hand nehmen.3 –
Jenseits der Alpen stehen die Dinge somit gut, obschon von Bern aus und von Luzern sowol im Tessin , als in Turin in Mayland und in Genua für den Gotthard operirt werden möchte.4
Diesen Einwirkungen wird aber die Spitze abgebrochen, wenn diesseits der Alpen eine thatkräftige Gründergesellschaft auftrit, die vom schweizerischen Interesse getragen, die Alpenbahn zu verwircklichen sich anschickt und zwar diejenige über den rationelsten Paß, den Lucmanier. | Zu diesem Behufe ist es aber nöthig, daß Männer an dieses Werck Hand anlegen, die nicht blos den Ruf sanguinischer Ideologen haben, wie ein Lanicca , Killias und Planta , sondern Solche, die mit Ihrem bloßen Namen die Kleingläubigen im rechten Momente zur Anhandnahme dieses Schlußsteins am schweiz. Eisenbahn bau bewegen würden. –
Die deutsch-schweizerische Creditbank ist nun bereit, die Conzessionen diesem Comité zu überlaßen. Dadurch fällt von vornherein der Character eines Speculations unternehmens dahin.5 –
Um der Lucmanierbahn von vornherein einen neutralen Character zu geben, wären wir Willens die erste Sitzung in Chur abzuhalten.6 Außer Herrn Wirth-Sand werden von St Gallen nur solche neue Mitglieder gewählt, die den Eisenbahnfehden fremd geblieben sind und mit den Partheien nichts zu schaffen haben, | wie die HH. Köllreuther 7 , Oberst Schirmer 8 und Staehelin-Wild 9 . – Von Glarus werden Heer und Rathsherr Jenny 10 beitreten.11 Den Freund Blumer habe ich mit neuen Eisenbahnfragen nicht mehr quälen wollen. – Er hatte sie zu definitiv abgeschüttelt.12 Von Bündten haben wir Latour 13 fürs Oberland und Tessin, sowie Killias , Lanicca und mich bezeichnet.14 In Zürich rechnen wir auf Sie, Boller und eine von Ihnen näher zu bezeichnende Kraft. – Als eine meines Erachtens unentbehrliche Persönlichkeit rechne ich dann noch Herrn Michel dazu, indem seine nüchterne, practische Anschauungsweise insbesondere für Turin und auch gegenüber den frühern Lucmanier Anschauungen höchst wohlthätig und fördernd wircken wird. –
Da nun Michel nach Turin berufen ist , halte ich die beförderlichste Constituirung der neuen Gründungsgesellschaft für äußerst wünschenswerth.| Wir sehen daher mit Sehnsucht Ihrem Entschluße entgegen, obschon wir schon des Zuversichtlichsten auf eine günstige Erklärung hoffen und rechnen.15 Wenn der neue Anstoß dieses Mal von Zürich aus kommt, wird dies hoch wiegen in der Wagschale des Lucmaniers und selbst bei der Commission in Turin .
Endlich wollen Sie es mir gestatten von den Höhen des Lucmaniers Sie auf meine eigne Persönlichkeit zu führen. Aber da ich mit meiner Familie nun nach Samaden reisen sollte, da ich ferner da oben noch mehrfache landwirthschaftliche Anordnungen treffen muß, an die Sie unter den Dahlien und dem sonstigen Blumenflor Belvoirs gar nicht zu dencken haben, so komme ich mit meiner Zeit sehr in die Klemme. – | Wenn es daher immer möglich wäre, die erste Conferenz in Bälde abzuhalten, so würden Sie mich qua Familienvater16 und Senn des Hochgebirgs sehr verbinden.
Vor dem Beginn der Bundesversammlung17 sollte aber in der Lucmanier frage ein entscheidender Schritt geschehen, wenn man damit allen Gelüsten nach Anhandnahme der Alpenbahnfrage von Bundeswegen kurzweg den Lebens athem abschneiden will. – Wir antworten dann einfach mit einem «Bemühet Euch nicht meine Herren! Die Sache macht sich, wie die andern Bahnen, von selbst und ohne besondere Bundesunterstützung.»
Doch wozu diese Abschweifung. Ich will Sie heute lieber nicht länger belästigen, sondern in der Gewärtigung | einer baldigen mündlichen Besprechung dieser Frage für heute mit meinen hochachtungsvollsten und freundschaftlichen Empfelungen schließen, geharrend
Ihr ergebenster Freund
A R v Planta
Reichenau bei Chur den 24sten Juny 1860.
Kommentareinträge
1Planta war zusammen mit Jean Antoine Michel und Wolfgang Killias in Turin, Genua und Mailand, um im Hinblick auf die Verhandlungen im Tessin zur Verlängerung der Lukmanierkonzession Bestätigungen für die versprochenen Subventionen einzuholen. Vgl. Bänziger-La Nicca, Richard La Nicca, S. 223–224; Schmidlin, Ostalpenbahnfrage, S. 54.
2Die im Sommer 1857 von den Kantonen Graubünden und Tessin vergebene und am 5. August 1857 von der Bundesversammlung bestätigte Lukmanierkonzession an die Deutsch-Schweizerische Kredit-Bank in St. Gallen wurde mehrfach verlängert. Die Fristerstreckung durch die beiden Kantone für den Beginn der Erdarbeiten auf den 1. Mai bzw. 1. Juni 1861 sanktionierte die Bundesversammlung am 20. Juli 1860. Vgl. Schmidlin, Ostalpenbahnfrage, S. 49, 54; Processi verbali del Gran Consiglio, 13. Juni 1860 (S. 453–456).
3 Vgl. Processi verbali del Gran Consiglio, 13. Juni 1860 (S. 454).
4Im Zusammenhang mit den Untersuchungen der italienischen Alpenbahnkommission (Escher und die Ostalpenbahnfrage, Neuer Anlauf und neue Werbungen) schickte der Regierungsrat von Luzern einen Abgeordneten nach Turin. Er koordinierte diese Aktion mit der Schweizerischen Centralbahn, welche für die nötigen Unterlagen zum Gotthardprojekt besorgt war. Vgl. Schreiben RR Kt. LU an Dir. SCB, 16. Juli 1860 (SBB Historic VGB_GB_SBBGB01_004 ; Schreiben RR Kt. LU an Dir. SCB, 23. Juli 1860 (SBB Historic VGB_GB_SBBGB01_004 ). – Weitere Aktionen zugunsten des Gotthardprojekts konnten nicht ermittelt werden.
5Einen Monat später entschied sich der Ausschuss des Lukmanierkomitees allerdings, diese Übertragung einstweilen noch zu verschieben. Vgl. Prot. Ausschuss Lukmanierkomitee, 23. Juli 1860; Planta, Bericht, S. 12.
6Sitz des Lukmanierkomitees war St. Gallen, wo bereits die Vereinigten Schweizerbahnen domiziliert waren. Vgl. Collectives Protocoll Lukmanier-Comité, 22./29. Mai 1860.
7 Felix Köllreuther (1820–1873), Unternehmer aus Stuttgart, Vertreter der Deutsch-Schweizerischen Kredit-Bank St. Gallen.
8 Johann Paul Schirmer (1796–1867), St. Galler Unternehmer, Oberst.
9 Georg Kaspar Staehelin-Wild (1808–1879), Fabrikant, ehemaliger Verwaltungsrat der St. Gallisch-Appenzellischen Eisenbahn.
10 Peter Jenny (1800–1874), Ratsherr und Nationalrat (GL), Verwaltungsrat der Vereinigten Schweizerbahnen.
11Die genannten Personen wurden zwar eingeladen, es trat jedoch niemand von ihnen dem Lukmanierkomitee bei. Vgl. Collectives Protocoll Lukmanier-Comité, 22./29. Mai 1860; Schmidlin, Ostalpenbahnfrage, S. 54; Planta, Bericht, S. 5, 11.
12 Blumer hatte im Frühling 1857 bei den Vorbereitungen zur Konstituierung der Vereinigten Schweizerbahnen noch mitgewirkt, auf einen Posten in der Leitung aber verzichtet. Vgl. Heer, Blumer, S. 35. – Die frühere Tätigkeit im Generalkomitee der Südostbahn empfand er als zeitraubend und wenig erbaulich: «Meinen Austritt aus der Eisenbahnverwaltung habe ich noch keinen Augenblick bereut; denn ich bin mit Vielem, was meine ehemaligen Collegen treiben, nicht einverstanden u. es fehlt mir jenes volle Vertrauen in die Zukunft des Unternehmens, ohne welches ein ersprießliches Wirken sich nicht denken läßt. Wird indeßen, wie ich hoffe, das Ziel der Eisenbahnbestrebungen, die ich für meinen Kanton verfolgte, gleichwohl erreicht, so freue ich mich u. überlaße gerne Andern den Ruhm der Vollendung.» Johann Jakob Blumer an Alfred Escher, 30. Mai 1857 Vgl. Heer, Blumer, S. 34–35.
13 Caspar de Latour (1827–1861), Nationalrat (GR) und Verwaltungsrat der Vereinigten Schweizerbahnen.
14Planta und Killias waren bereits länger dabei; Latour trat tatsächlich dem Komitee bei, starb jedoch bereits im folgenden Jahr. La Niccas Beitritt scheint an divergierenden Vorstellungen betreffend Führungsanspruch und Entschädigung für Spesen vom Vorjahr in der Höhe von 16 000 Franken (!) gescheitert zu sein. Vgl. Prot. Ausschuss Lukmanierkomitee, 28. Juni 1860, 23. Juli 1860; Bänziger-La Nicca, Richard La Nicca, S. 228–238.
15Escher kam dem Wunsch des Lukmanierkomitees nicht nach. Dem Protokoll lässt sich entnehmen, er habe sich «für dermalen zu sehr mit Geschäften überhäuft erklärt» . Prot. Ausschuss Lukmanierkomitee, 23. Juli 1860.
16 Vgl. Planta, Genealogie.
17Die eidgenössischen Räte traten am 2. Juli 1860 zur ordentlichen Sommersession zusammen. Vgl. BBl 1860 II, S. 508.