Bern 8 April 1860.
Mein lieber Freund!
Ich kann nicht umhin, dich über die Situation zu unterrichten. Nachdem Kerns Plan , hieher zu kommen, nicht gelang, vertraute er alles dem Papier u die «ernste Lage» ist diese: Frankreich wird zwar die Sav: Nordprovinzen nicht militärisch besetzen, wenn nicht besondre Ereigniße es veranlaßen; allein die Civil Verwaltung einzuführen läßt es sich nicht hindern u wenn die Schweiz sich dieser Besitznahme thätlich widersetzen will, so wird auch Frank-reich bewaffnet vorgehen; es wird keine Conferenzen annehmen vor der Vollendung der Besitznahme. –
Nicht viel beßer sieht es anderwärts aus. England bezeigt zwar alle möglichen Sympathien, erklärte aber nur rund heraus, daß es nicht bewaffnet beystehn könne u deßhalb auch nicht förmlich bey Frankreich protestirt habe. Auch bei den andern Staaten scheint nichts herauszukommen; keiner will recht anpackenu für d. Conferenzen die Initiative ergreifen u so wird diese Verhandlung sich verschleppen, bis ein fait accompli vorhanden ist.
Aus Turin meldet man uns (wenn Cavour nicht lügt, wie gewöhnlich) daß v. 15–20 April d. Abstimmungen statt finden sollen u daß der Abtretungsvertrag erst Anfangs Mai dem Parlament vorgelegt werde. – |
In Deutschland schreit alle Welt, wir müßen losschlagen d. h. Savoyen besetzen; sogar Bluntschli schrieb mir mit einer ge-wißen Begeisterung in diesem Sinne. Die guten Deutschen vergeßen immer, daß nicht sie Meister sind, sondern ihre etlichen 30 Dynasten u was das für eine Wirthschaft ist, weiß man.
So tritt die große Frage ganz nahe heran, ob man der Besitznahme Frankreichs mit Waffen entgegentreten solle oder nicht od. mit andern Worten die Frage über Krieg od. Frieden. u da die Bundesversammlung diese Frage intakt in ihre Hände nehmen will, so wird sie wohl nächstens in den Fall kommen, die fatale Discussion, welche letzthin umgangen wurde zu produciren u so wird es sich leider doch öffentlich u officiell herausstellen, daß die Schweiz in dieser Frage ganz getheilt sein wird, eine Thatsache, welche schon für sich allein die vernünftige Möglichkeit einer Kriegführung ausschließt! –
Morgen haben wir Vor- u Nachmittag Sitzung u es wird eine große Schlacht geben! Du wirst begreifen, daß es Leute giebt, welche behaupten, der Antrag der Mehrheit wäre am Montag in Minderheit geblieben u man könne keine Reservationen u Meynungen einzelner Personen zulaßen, sondern müße den Beschluß nehmen, wie er wörtlich vorliege, sans restrictions, wie ausdrücklich von Fasy, Dapples u andern ausgesprochen u von niemand bestritten worden sey! –
Doch allzu genug für heute; wahrscheinlich wird nichts beßres nachkommen. –
Herzlich grüßend
Dein
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