Confidentiell
Bern 8 Apr 58
Mein lieber Freund!
Gestern wurde die Beschwerde der StGaller u Glatthalbahn gegen Euern Vertrag mit Baden behandelt.1
Das Depart reproducirte s. frühern Antrag nämlich in folgendem Sinn an die Recurrenten zu erwidern:
Der BRath habe gegen den Vertrag keine Einwendungen zu erheben erklärt, weil er den Schweizerischen Intreßen nicht widerstreite.
Der Art 102 könne keine Besorgniß machen; denn es müße nöthigenfalls Art 13 des EBGesetzes3 angewendet werden, wenn die NOBahn den Anschluß bei Koblenz verweigern wollte. Auch der Art 54 habe kein Bedenken, weil die NOBahn jedenfalls gehalten wäre, ohne Erhöhung des Tarifs die Personen- u Gütertransporte andrer Bahnen vom Anschlußpunkte weg nach Waldshut u umgekehrt zu spediren. Die Mitbenutzung der Badischen Strecke u des Bahnhofs könne der Bund nicht zusichern, weil die Pflicht der | Gestaltung der Anschlüße sich auf das Schw. Gebiet beschränke. Dagegen sey Baden wegen Art 37 des Staatsvertrages v 18525 nicht befugt, mit einzelnen Schw. Bahngesellschaften Verträge zu schließen, welche dem Anschluß andrer Schweizerbahnen präjudiciren u wenn dahin wirkende Vereinbarungen zwischen der Schw. NOBahn u Baden getroffen worden wären, so müßten sie gegenüber dem Art 37 cit. als unverbindlich u unpräjudicirlich angesehn werden.6
Diesen Antrag bestritt ich u beantragte: dem ersten (nicht angestrichnen) Passus lediglich folgendes beyzufügen:
«Bei dieser Sachlage könne man daher nicht einem Gesuche Folge geben, dahin gehend, daß der Vertrag nicht od. nur bedingt ratificirt werde. Sollten später Conflicte entstehen, so werden die competenten Behörden nach Anhörung aller Betheiligten auf Grundlage der bestehenden Verträge u Gesetze das Maaßgebende verfügen.» –
Soweit mein Antrag, gewiß unpartheyisch u
unverfänglich! – Er wurde auch angenommen,
|
aber erst, nachdem mit Mehrheit folgende amendements beschloßen worden.
1. Streichung der unterstrichenen Worte.
2. Folgender Zu- od. Zwischensatz:
Übrigens sey durch den Beschluß des
Bundesraths (betreffend die Ratification
Eures Vertrags) die Ausführung des Badischen Staatsvertrages v 1852 u der Competenz der Eidg. Behörden nicht vorgegriffen. –
Du siehst, man wollte beruhigen u ermuthigen! Übrigens wurde naiv herausgesagt, daß die Anträge hauptsächlich, als eine Sicherung, gegen geheime Artikel Eures Vertrages gerichtet seyen, an deren Existenz einige Miglieder in allem Ernst zu glauben scheinen. – So stehen d. Sachen! –
Deinen intreßanten u gründlichen Bericht über die
die Anschlüße im StGallischen Sinne habe ich erhalten.7
Ich bin von deßen Richtigkeit völlig überzeugt u habe schon früher ganz in diesem Sinne mich
erklärt. Allein ich kann dir dennoch nicht bergen,
daß wir Mühe haben werden haben, im Bundesrath u in der Bundesversammlung damit durchzudringen,
theils wegen der Eisenbahn Coalitionen |
theils wegen dem demagogischen Treiben
im wüsteschen Sinne des Wortes gegen die EisenbahnDirektionen
u Gesellschaften, theils wegen
Haß u Neid. Man wird den Grundsatz
aufstellen: Alle Eisenbahnen müßen sich
durchgehende Züge gefallen laßen u im
streitigen Fall bestimmt die u die Behörde
die Entschädigungen. Sowie ich die Stimmung
kenne, wollte ich wetten, daß ein solcher Satz
durchgeht u du wirst gut thun, durch
Details u argumenta ad hominem8 darzuthun
1) daß eine Gesellschaft damit ruinirt
werden kann;
2) daß das Intreße des allg. Verkehrs
sehr häufig nur ein vorgeschobener
Posten seyn wird. –
Einstweilen genug hievon!
Herzlich grüßend
Dein
F
Vielleicht wäre es gut, die Sache vor ihrer Behandlg noch einmal einläßlich zu besprechen. Ich bin zu einem Rendez vous in Aarau od. Olten jederzeit erbötig.
Kommentareinträge
1Anfang März 1858 reichten der Verwaltungsrat der Vereinigten Schweizerbahnen und das Gründungskomitee der Glattalbahn beim Bundesrat eine Beschwerde gegen den Vertrag der Nordostbahn mit der Grossherzoglich Badischen Staats-Eisenbahn ein. Sie waren der Ansicht, dass der Vertrag gesetzeswidrig sei. Der Bundesrat wies die Beschwerde am 7. April 1857 zurück. Vgl. Prot. BR, 10. März 1858; Prot. BR, 7. April 1858. – Die Beschwerde führte dazu, dass in Bundesrat und Parlament wiederholt über eine weitergehende Regulierung des Bahnbaus debattiert wurde. Vgl. Friedrich Frey-Herosé an Alfred Escher, 14. Juni 1858.
2«Für den Fall, daß auf der Linie von Schaffhausen bis Basel andere Anschlüsse Schweizerischer Bahnen an die Großherzoglich Badische Staatsbahn außer denjenigen in Schaffhausen, Waldshut und Basel bei der Großherzoglich Badischen Eisenbahnverwaltung nachgesucht werden sollten, wird die letztere die Nordostbahngesellschaft hiervon Behufs Abgabe etwaiger Erinnerungen und Vorschläge benachrichtigen.» Vertrag NOB/Baden, Art. 10.
3«Jede Eisenbahnverwaltung ist verpflichtet, den Anschluß anderer Eisenbahnunternehmungen an die ihrige in schicklicher Weise zu gestatten, ohne daß die Tarifsätze zu Ungunsten der einmündenden Bahnlinien ungleich gehalten werden dürfen.» Eisenbahngesetz 1852, Art. 13.
4«[...] Der Nordostbahngesellschaft steht auch auf derjenigen Bahnstrecke, welche sich auf badischem Gebiete befindet, das Recht des ausschließlichen Betriebes zu [...].» Vertrag NOB/Baden, Art. 5.
5«Ueber Herstellung von Schienenwegen zu zweckdienlicher Verbindung der badischen Bahnhöfe in Klein-Basel, Waldshut, Schaffhausen mit andern benachbarten Bahnhöfen schweizerischer Bahnen, werden seiner Zeit die großherzogliche Regierung und der schweizerische Bundesrath sich zu thunlichster Förderung verständigen, auch in Ermanglung des Staatsbaues schweizerischer Seits etwaige zu solchen Unternehmungen erbötige Privatgesellschaften möglichst berücksichtigen.» Vertrag Grossherzogtum Baden, Art. 37.
6Der vorhergehende Abschnitt ist am linken Rand mit einem Vertikalstrich markiert.
7Bericht nicht ermittelt.
8Argumenta ad hominem (lat.): auf den Menschen bezogene Argumente; übertragen: persönliche Angriffe auf den Gegner.