Bern den 16 Jan 1858.
Mein lieber Freund!
Auf das freundliche Schreiben deiner Gattin an meine Tochter über mein Befinden will ich selbst an dich Bericht erstatten.
Leider habe ich dieses Jahr nicht unter günstigen Auspicien angetreten. Die letztjährige Krankheit, die Gicht, verfolgt mich auch jetzt wieder nur bis jetzt unter mildern Formen; bald tritt sie auf als Augenentzündung, bald als Husten u Halsweh, bald am linken Fuß, bald am rechten Kniee us. w. So wie ein Übel beseitigt erscheint, tritt ein anderes auf u das Gefährliche an der Sache ist, daß die Krankheit sich eben so leicht auf edlere Organe werfen kann, was zum Theil letztes Jahr geschehn ist. Auch gehört es zu den Eigenthümlichkeiten | dieser Krankheit, daß sie die Rückfälle liebt u so kann mir noch viel Schweres bevor stehn. – Daneben fühle ich mich innerlich verhältnißmäßig wohl; namentlich ist der Kopf ganz frey. Den ganzen Tag zu arbeiten, macht mir gar nichts; nur ausgehn dürfte ich nicht. Man macht sich keinen Begriff, von welcher Empfindlichkeit mein Hautsystem ist; wenn ein Zimmer nicht wenigstens 14° Réaumur hat, so fühle ich mich gleich unwohl u die mindeste Zugluft würde für mich sehr ernste Folge haben. Daher ist von Ausgehn bei dieser Kälte keine Rede. Am letzten Sylvester, als meine AugenEntzündung so ziemlich vorbei war, fuhr ich mit ärztlicher Bewilligung in einer verschloßnen Chaise aufs Rathhaus, um den Departementswechsel vorzunehmen; auch wohnte ich einer Sitzung bei. Die Folge war, daß ich mit einer starken Halsentzündung heimkehrte. Seither verließ ich das Zimmer nicht mehr, kann aber den ganzen Tag arbeiten | u alle nöthigen Geschäfte besorgen. Diese Woche war ich etwa 2 Tage im Bett, weil ich wegen Schmerzen im Kniee nicht gehn konnte. Dieses ist wieder vorbei u ich habe gegenwärtig keinen Krankheitsausbruch; allein ich fühle die allgemeine Disposition dazu so sehr, daß von Ausgehn keine Rede seyn kann. Auch muß ich beständig mediciniren. –
Du siehst, ich bin nicht auf Rosen gebettet u meine Zukunft erscheint mir oft in bedenklichem Lichte! – Meine übrige Familie befindet sich mit Ausnahme üblicher Winterübel in gutem Zustande. Meine Tochter Friederike wird nächstens, so frei seyn, im Belvoir ihre Aufwartung zu machen u sich persönlich nach dem Befinden deiner werthen Familie zu erkundigen; sie geht für einige Zeit auf Besuch nach Zürich u Winterthur.
Inzwischen empfehle ich mich deiner Familie höflichst u danke deiner Frau Gemahlinn für ihre gefällige Bemühung. | Dir wünsche ich recht feste Gesundheit, um die Lasten u Arbeiten dieser ringenden Zeit zu tragen. –
Lebe recht wohl u grüße mir unsre Freunde!
Dein
Dr F