SCHWEIZERISCHE
BUNDESCANZLEI
Bern d. 26. Jan. 1856.
Mein lieber Freund!
Ich wollte Dir nicht schreiben, bis ich Dir bezüglich der verschiednen, in der Bundesversammlung zur Sprache kommenden Hauptfragen etwas Bestimmteres mittheilen könne. Die ersten Tagen boten ein solches Gewirre von Interessen &. Gesumme von Meinungen dar, daß man daraus nicht recht klug wurde. Nun hat sich die Situation etwas abgeklärt.
Um mit dem Hochverrathsprozeß zu beginnen, so wird wahrscheinlich lediglich der Druck des Urtheils beschlossen werden. Im allgemeinen herrscht einige Tendenz zur Beendigung dieses Prozesses; auf der andern Seite fürchten aber die liberalen Luzerner die Heimkehr Siegwarts, da er ein geschickter Parteiorganisator sei. Sie erklären, Siegwart würde unbedingt im nächsten Mal in den Nationalrath gewählt werden: – eine Aussicht, die allerdings wüst ist. Einstweilen wird die Verschiebung das Beste sein; | wir haben dann Gelegenheit, uns in Sachen noch etwas näher zu besprechen.
Mit Bezug auf den Freiburgerkonflikt herrscht in den Räthen eine für Freiburg entschieden günstige Stimmung vor. In der nationalräthl. Kommission ist einzig Benz für die Murtnerlinie; in der ständeräthlichen vielleicht Blumer. Die Stimmung wird zudem mit jedem Tag für Murten ungünstiger, da das Romonterprojekt aus dem Gebiete des Phantastischen heraustritt &. Gestalt zu gewinnen anfängt. Stämpfli glaubt z. B. gestützt auf Zusicherungen von Bartholony einer- &. sogar der Centralbahn anderseits an dieß Projekt; in Lausanne ist große Bewegung dafür &. desgleichen auch in Genf. Man operirt nun gegen die Murtnerlinie als eine solche, welche unter dem Mantel einer gewissen Rationalität | die 2. wahrhaft rationalen Linien (Aare- &. Seelinie &. Bern–Romont–Lausannelinie) zerstöre. Du siehst, daß die Frage sich damit ganz gedreht hat &. daß, nachdem sie einmal so steht, die große Mehrheit geneigt ist, Freiburg noch eine kurze Nothfrist zu geben. – Ich muß Dir nun freilich mittheilen, daß sich mit Ertheilung dieser Frist die Sachlage wesentlich ändern wird. Schaller sagt mir, Freiburg werde sofort mit dem jetzt schon zu seiner Disposition stehenden Kapitalien mit dem Bau der Linie Freiburg–Bern beginnen; die Frage ist dann natürlich später nicht mehr frei. Allein Freiburg kann fast nicht anders, weil sonst die Central- &. Westbahn während der Galgenfrist zurückhalten würden. Freiburg muß daher einen Schritt vorwärts &. es thut ihn in der Hoffnung, daß inzwischen das Romonterprojekt definitive Gestaltung erhalte. – Man gedenkt nun in den Räthen &. Kommissionen zu Gunsten Freiburgs noch einen Schritt über | den Minoritätsantrag Stämpflis hinaus zu thun, nämlich zu beschließen: 1. das Projekt über Freiburg wird genehmigt – Termin für den Beginn der Erdarbeiten &. Ausweis bis 1. Juli 56. mit angedrohter Zwangskonzession für die Murtnerlinie: 2. Einstweiliges Nichteintreten in das Konzessionsbegehren der Westbahn für die Stücke auf Waadtländer &. Bernergebiet.
Der Bundesrath (insbesondere Furrer) ist etwas gereizt darüber, daß der Entscheid der Mehrheit des Bundesrathes so wenig Anklang findet. In der betreff. Sitzung des Bundesrathes habe man, sagt mir Stämpfli, so zu sagen ohne Debatte seinen Antrag hinuntergewischt; der Bericht sei dann erst nachträglich von Fornerod gemacht worden, der scheints vorher alle andern in Beschlag genommen hatte. Nun der begreifliche Aerger.
Ferner sagte mir Stämpfli, es haben sich die Herrn Speiser und Auber (Direktor der Westbahn) mit seinem Antrag, den er ihnen vorher gezeigt, einverstanden erklärt & ihm selbst angedeutet, | daß sie nicht ungeneigt seien, entweder die Freiburg–Payerner– od. die Romonterbahn selbst zu erstellen; daß ferner Trog ihm (wenn sie allein seien) alle Tage sage, er habe ganz recht, während er dann freilich bei Andern anders spricht &. namentlich den Stadtbernern die Katze den Buckel hinauf gejagt hat mit der Drohung, die Centralbahn werde sich bei einem Entscheide gegen Murten sofort auf die Aare- &. Seelinie werfen.
Natürlich spielen in Sachen viele politische Motive mit; die einen sind als Anhänger der Kantonalsouverainität für Freiburg; die andern wegen ihrer Sympathieen für die gegenwärtige Ordnung der Dinge. Freilich gährt es im Kanton bedenklich. Presset sprach gestern in höchster Wuth von Schaller; kein Radikaler werde mehr für ihn stimmen &. s. f. Wenn indeß die Romontlinie reussiren würde, so wäre das gegenwärtige Regiment wohl unbedingt fest. – Schaller protestirt feierlich dagegen, daß er mit Marilleys Heimkehr einverstanden sei. Dieser Akt Fazys hat hier sehr empört. |
Betreffend den Solothurner Bahnhofstreit ist noch nichts abgeschlossen. Die Centralbahn hat (begreiflicher Weise) das Anerbieten der Stadt, wonach Müller selbst bauen wollte, abgelehnt. Dagegen handelt es sich nun darum, die Stadt zu bewegen, 100,000 Fr. an die Mehrkosten zu bezahlen. Stadtamm. Bünzli ist gestern mit dieser Proposition der Centralbahn nach Solothurn gereist; die Antwort steht noch aus. Die Stimmung ist im Ständerath eher günstig für Solothurn.
In der Neuenburgerfrage wird heute im Ständerath entschieden, aller Wahrscheinlichkeit nach zu Gunsten der Verrièreslinie. Im Nat.Rathe ist es Planta gelungen, eine neue Kommission aufstellen zu lassen, was gleichbedeutend ist mit Entfernung von Hungerbühler aus dieser Kommission. Dieser hat sich nämlich mit voller Wuth für den | Jura industriel ins Geschirr geworfen &. zwar wegen der Gleichartigkeit der Frage mit derjenigen von Rorschach–Rheineck, wo er der Südostbahn bekanntlich die Konzession rauben will.
Der Westbahn endlich wird man die Konzession für die Linie längs dem Genfersee auf Waadtländer Gebiet erneuern.
Das Eisenbahngesetz ist an eine besondere Kommission gewiesen worden, welche von Schwarz präsidirt ist. Ich sprach mit diesem in Deinem Sinne; er will Nichteintreten beantragen &. hält etwas zurück. Auf der andern Seite ist Stämpfli sehr feurig für das Gesetz; er behauptet, im Nat.Rathe sei die große Mehrheit dafür, namentlich die Centralbahnmänner; denn es müsste diesen daran liegen, keine fremde Gesellschaft bei uns Fuß fassen zu lassen. Stehli ist ebenfalls dafür. Fazy &. die Wälschen | überhaupt eifern gegen den Entwurf. Du würdest vielleicht gut thun, Schwarz selbst noch einige Notizzen zukommen zu lassen.
So viel nun für einmal. Das hiesige Leben anbetreffend darfst Du Dir gratuliren, daß Du nicht hier bist. Das Wetter ist unfreundlich &. die Stimmung der Gemüther nicht minder. Fast alle Abende gibt es bittere Zänkereien. Von den Freunden in Bern kann Dir Häberlin besser berichten!
Und was machst Du? Ich hoffe, daß es mit jedem Tage besser werde, die milde Witterung wird Deiner Genesung günstig sein. Während Deiner Abwesenheit spreizt sich im Nat.Rathe Hungerbühler; indeß wollen feinere Augen beobachten, daß er nicht gewonnen habe. Es fragt Dir Alles nach &. man freut | sich Deiner Wiederkräftigung. Ich kann glücklicher Weise die Versicherung geben, daß Du körperlich &. geistig fast wohler seiest als je &. daß in der scharfen Krisis lediglich noch die letzte Möglichkeit, ein «Zopf» zu werden, für Dich auch in physischer Beziehung total untergegangen sei.
In Zürich rumoren die Studenten &. Fick hat sich durch die Demonstrationen einschüchtern lassen; er hat abgelehnt. Daß deswegen Meyer gewählt werde, ist mir nun aber noch nicht ausgemacht. Ich habe Rüttimann gebeten, mit Fick nochmals zu sprechen. Daß die Demonstrationen auf mich nicht groß influenziren, brauche ich Dir wohl nicht zu sagen. Unangenehm ist es freilich, unter steten bittern Händeln vorgehen zu müssen.
Und nun empfange noch einen recht freundschaflichen Gruß von
Deinem
J. Dubs.