SCHWEIZERISCHE
BUNDESCANZLEI
Bern d. 23. Juli 1855.
Mein lieber Freund!
Deine ausführliche Antwort verdanke ich Dir nebst allen Renseignements bestens &. ich benutze eine Pause in der Käslidebatte, in welcher ich so eben etwas hitzig geworden, zur Beantwortung. Die Käslifrage selbst anbelangend, hast Du gewiß gehört, daß man ihn in Uri von allen Kanzeln exkommunizirt hat. Sollen wir das dulden? Schaller meint, es sei im Interesse aller Freisinnigen (Katholiken), daß wir dagegen reklamiren &. wirklich könnte man wohl mit gleichem Rechte Jeden, der eine gemischte Ehe eingeht, auch exkommuniziren.
Herrn v. Dusch habe ich gestern Deine ausweichenden Instruktionen beigebracht; er ist nicht sehr davon erbaut. Die Antwort habest Du schon lange, welche Du noch wünschest. Im übrigen lasse er Dich bestens grüßen &. vor dem Fortgehen wolle er Dich jedenfalls noch aufsuchen, sei es in Baden, sei es in Interlaken od. anderswo.|
Bei Behandlung des St. Gallisch-Thurg. Steuerkonflikts (bei dem Du nebenbei gesagt muthmaßlich auch zu uns gestanden wärest, wenn Du Dich mitten in der bezüglichen politischen Strömung befunden hättest) hat sich Hungerbühler im Nat.Rathe viele Feinde gemacht: er ließ seinem bösen Maul ganz den Zügel schießen. Die Aargauer, insbesondere Siegfried &. Keller sind wüthend auf ihn wegen der Anspielung auf die Klostergeschichte; Keller nennt ihn nur noch «Baumgartner». Sulzberger sagte, als Hungerb. den Segesser «Bajard des alten Bundes (!)» nannte, «er habe jetzt den ‹Bajazzo des neuen Bundes› gehört». Hungerbühler hörte den Witz &. nannte nun Sulzberger einen «dummen Jungen». – Gestern war nun ein Mittagessen in der Neubrücke, wo sich eine «Bundesburschenschaft» konstituirte, bei welcher Fuog Senior &. Salis Schriftführer wurden. Blumer hatte zu diesem Zwecke einen Dekretsentwurf angefertigt, in welchem Hungerb., da er sich durch Obiges als vertraut mit dem Burschenthum erwiesen, als Ehrenmitglied proklamirt wurde. Das Dispos. 2. lautete: «Die Aufnahme ist unentgeltlich». Der boshafte Witz, namentlich auch der 2. Theil, wurden | mit schallendem Applaus aufgenommen; das Dekret wurde von Fuog unterzeichnet &. H. zugestellt.
Was diese Bundesburschenschaft anbetrifft, so entstand dieselbe aus einem Witz &. einem heitern Mißverständniß Blanchenays. Man sprach einmal auf der Plattform von Bundesbaronen etc. Salis erklärte nun, er proklamire sich als «Bundesburschen». Der Witz wurde herumgetragen &. – vergessen. Auf einmal brach er wieder in seltsamer frischer Blüthe hervor. Blanchenay räsonnirte über die jungen Mitglieder der Versammlung, die ganz den Respekt vor den ältern Herrn verloren haben. Es habe sich scheints da eine Partei gebildet, die sich Bundesburschen nennen &. eine systematische Opposition beabsichtigen. Dieses Mißverständniß war natürlich zu komisch, als daß es nicht die Runde hätte machen sollen &. es wurde dann von Dr. Frei im Nat.Rathe darauf angespielt, indem Frei «die Zöpfe der Bundesburschen zum Kranze für den Bundesbaron Hungerbühler wand.»
Du wirst diese Plaudereien für sehr einfältig halten, indeß maskiren sie in heiterm Gewande etwas, was innerlicher vorgeht &. was ich Dir dann näher schildern will. Die Wahl des Herrn Blösch hat | nämlich eine sehr gesunde Reaktion erzeugt; das Bedürfniß nach Sammlung der lib. Partei der Schweiz thut sich sozusagen allerseits kund &. es sind Schritte zur etwelchen Organisation bereits geschehen. Den Detail theile ich Dir aber besser mündlich mit, da man sich Verschwiegenheit &. Vorsicht versprochen hat. Ich dachte mir, Du seiest mit dem dießfälligen Progrediren einverstanden &. ich repräsentirte Dich deshalb bis anhin bei allen sachbezüglichen Verhandlungen. – Meines unmaßgeblichen Erachtens wird es aber nothwendig sein, in den einzelnen Kantonen ebenfalls die Parteien wieder etwas mehr zu sammeln &. gerade im Kt. Zürich dürfte dieß aus verschiednen Gründen nicht außer Weges sein.
Die Freiburger haben für die Wahlen noch etwelche Hoffnung. Die Brücke haben wir ihnen nun ausgekauft; sie legten großen Werth darauf, um ihrer Bevölkerung einen Vortheil zu erweisen &. zu zeigen, daß sie in Bern noch Kredit haben. | Im Bundesrathe haben Fornerod &. Furrer opponirt; im Ständerathe ging es einstimmig. – Die Abstimmungen in der Tessiner frage werden Dich auch gefreut haben; die Tessiner sind nunmehr sehr heiter.
Pioda ersucht mich, nebst Grüßen an Dich Verwendung für Franscinis Professur am Polytech. bei Dir eintreten zu lassen. die Sache ist hier etwas ruchtbar geworden, der Gedanke wird aber nicht ungünstig aufgenommen: weniger, weil man von Fransc. als Professor viel erwartet, als weil er eine Art Vertrauensmann für die ital. Schweizer wäre, deren Beaufsichtigung er leiten resp. hinsichtlich welcher er wenigstens den Eltern gegenüber als Leiter erscheinen könnte &. als braver Charakter Vertrauen wirklich einflößen müßte.
Fr. H. ist gestern glücklich hier angekommen; ich habe ihr mein Logis (an der Junkerngasse) abgetreten &. mich in ein kleines Stübchen im vordern Theile des Hauses zurückgezogen. Wir speisten gestern vergnügt mit einander zu Nacht &. sprachen so zu sagen einzig &. allein – von Dir. An der Post erzählte sie mir schon, wie es sie so sehr gefreut, daß Du | sie an der Post gegrüßt. Zwar sei sie doch etwas in Zweifel, ob Du nicht bloß zufällig da gewesen seiest; denn Du seiest dann gleich in den Wagen nach Zürich. Ich bewies ihr auf diesen Zweifel aus Deinem Briefe das Gegentheil, was ihr sehr wohl that. Sie gestand mir im Verfolge, daß sie etwas für Dich «schwärme» – sage «schwärme»! &. in der That erging sie sich nachher über Deine Liebenswürdigkeit in solcher Extase, daß es aller Freundschaft für Dich meinerseits bedurfte, um den blassen Neid, der sich in mir regen wollte, zu unterdrücken. Ich sagte ihr zum Schlusse, ich werde Dir einiges von dieser Unterredung mittheilen, worauf sie mir mit zartestem Erröthen Diskretion empfahl, indeß doch gestattete, etwas zu erwähnen. Die Gränzen wurden genau festgestellt; aber daß ich sie jetzt so absolut inne gehalten, beschwöre ich nicht. Ich werde Fr. H. um Verzeihung bitten.
Neben der Notiz, die ich von Dir über die Ankunft der Fr. H. erhielt, bekam ich noch eine andere über denselben Gegenstand. Rathe von wem? – Von | Niemand Anderm, als von Herrn H. selbst! &. zwar in einem rosafarbnen Billet, in welchem er mich ersuchte, da er nicht selbst nach Bern kommen könne, Fr. H. unter meinen Schutz zu nehmen. – Die Menschen sind von seltsamer Natur; das Billet des Herrn H. hat mich total entwaffnet.
Wir schließen muthmaßlich Mitwochs; aber unter den gegenwärtigen Umständen muß ich wohl bis Ende der Woche hier bleiben; denn ich kann doch F. H. nicht schutzlos lassen. Jedenfalls aber halte ich bei der Heimkunft in Baden an; wünsche Dir inzwischen recht guten Fortgang Deiner Kur (Du sollest schon jetzt wieder ganz blühend sein nach der Version Deiner Freundin) &. grüße Dich freundlich
Dein
J. Dubs.
Apropos: Du sollest Fr. H. vor meinen kl. Äuglein gewarnt haben!!
Ich werde Dir einst einen Gegendienst erweisen.