Bern den 16 Juli 1855
Mein lieber Freund!
Von Hrn Dr Kern vernehme ich heute, daß deine Kur einen ziemlich guten Fortgang nehme. Möge es weiter so gehn! Ich besorge zwar immer noch, daß du nicht nur zu viel in Baden arbeitest, sondern auch zuviel nach Zürich gehest.
Indem ich dieses schreibe, sitzen wir im Ständerath u debattiren den St Gallisch-Thurgauischen Steuerfrage. Die Sache wird sehr zweifelhaft; denn die Commission ist einstimmig der Ansicht, daß StGallen recht habe u Hr Dubs hat nicht nur beygestimmt, sondern eine tüchtige Lanze dafür eingelegt. –
Also jetzt haben wir zwey neue Collegen. – So viel ich mir denken kann, wirst du nicht ganz einverstanden seyn. Für mich sind Fornerod u Briatte ungefähr gleich; jeder mag seine besondern Vorzüge haben; Waadtländer müssen beyde bleiben. – Über Hrn Knüsel kann ich nicht urtheilen, weil ich ihn nicht näher kenne. Dagegen bedaure ich sehr, daß Hr Stehlin nicht annahm, gerade weil ich ihn kenne. Ich bedaure noch mehr, daß man eine Stelle im Bundesrath zur KantonalEitelkeitssache macht u auch die Religion zum Überflusse noch hineinzieht, statt vor allem auf die Bedürfnisse der Bundes| Verwaltung zu sehen. Wir hätten vorzugsweise einer militairischen Kraft bedurft; nun sagte mir Hr Knüsel selbst, davon verstehe er gar nichts, er habe nie eine Flinte getragen. Dagegen will er mir nun Concurrenz machen im Justiz- u Pol.Departement. Wenn ihm dieses aufs künftige Jahr gelingen sollte, was müßte ich dann anfangen? – Du siehst, unsre Lage kann zu allerhand Bedenken führen. Wir werden sehen, was dabei herauskommt. —
Ich nehme an, du kommest diesen Sommer nicht nach Bern. Wir vermissen dich alle sehr, sowohl im Rath, als im freundschaftlichen Kreise. Allein es ist dennoch besser für dich u eigentliche Capitalfragen kommen doch dieses mal nicht vor; es geht überhaupt ziemlich lau zu.
Daher sorge du jetzt für dich u sey herzlich gegrüßt
von deinem
F
In Baden empfehle mich dem
Andenken der Familie Meyer. —