SCHWEIZERISCHE
BUNDESCANZLEI
Bern d. 2. Juli 1855.
Mein lieber Freund!
Durch die telegraphische Depesche bist Du bereits von dem Wesentlichen der heutigen Vorgänge berichtet: nunmehr noch die Details. Deine Erwählung zum Präsidenten des Nationalrathes erfolgte in 1. Scrut. &. zwar mit 52. Stimmen von c. 81. d. h. so ziemlich mit allen liberalen Stimmen. Man hatte hin &. wieder gesagt, Du werdest nicht kommen, also solle man Dich nicht erwählen; allein das verfing nicht. Bei der Vizepräsidentenwahl hatte Siegfried, vielleicht auch wegen Nichtanwesenheit, von Anfang schon wenig Stimmen, desgleichen aber auch Migy. Letzterer, für den ich ebenfalls an meinem geringen Orte gewirkt hatte (ich hatte namentlich Stämpfli, der damit einverstanden war, ersucht, auf die Berner etwas zu wirken, daß sie ihn kräftig portiren), hatte nun mit Blösch 6. Skrutinien zu kämpfen; bald hatte er mehr, bald weniger Stimmen als Blösch, bis am Ende im 6. Scrut. der Entscheid dahin fiel, daß Blösch mit 41. von 78. gültigen Stimmen gewählt wurde, während Migy. mit 37. in der Minderheit blieb. Die Wälschen bezeugten (nämlich die Radikalen, denn ich traue sogar Blanchenay nicht ganz), die radikalen Berner haben sie im Stiche gelassen. Hubler sn. Seits behauptet | mir, sie Berner haben für Migy gestimmt &. man habe sie im Stiche gelassen. Sei dem, wie ihm wolle, so dürfte soviel richtig sein, daß Trog zuletzt für Blösch gewaibelt, die Aargauer für Blösch gestimmt &. die St. Galler größtentheils eben dahin gedrückt haben. Diese Stimmen in Verbindung mit den Konservativen &. dem fusionssüchtigen Justemilieu gaben den Ausschlag. Daß die entschiednern Liberalen sich über diese Wahl schwer ärgern, wirst Du begreifen &. ich fürchte, das Ansehen des Nat.Rathes dürfte dadurch einen Stoß erleiden. Das Bureau wurde bestellt wie bisher (Kreis, Migy, Frei, etc.), so daß die konservative Partei darin jetzt fast das Uebergewicht haben dürfte.
Ich fürchte, der Wermuth in dem Becher der Freude über die Dir neuerdings zu Theil gewordene Anerkennung Deiner Verdienste um das Vaterland werde Dir jene Freude fast allzusehr vergällen. Ich hatte in der That gehofft, daß wenn Migy zum Vizepräs. gewählt werde, ich Dir selbst rathen könnte, Bern dießmal zu meiden; beinahe fürchte ich mich, Dir jetzt diesen Rath zu ertheilen. Die Session ist freilich nicht sehr wichtig; allein ich sehe dennoch das Präsidium | nicht gerne in der Hand des Herrn Blösch. Auf der andern Seite wäre es eigentlich die gerechteste Strafe, wenn man dem Nationalrathe den Herrn Blösch auch ganz &. recht voll zu kosten gäbe; vielleicht hätte er ihn dann bälder wieder satt. Konsultire Du darum in dieser Frage mehr den Arzt, als Deine Gefühle!
Auch hinsichtlich der Bundesrathswahl hege ich Befürchtungen. Stehlis Wahl halte ich zwar, wenn nicht etwas ganz Anderes dazwischen kommt, für ziemlich gesichert; dagegen glaube ich, daß auch Fornerod aus der Wahlurne hervorgehen werde. Der Gang der Wahl wird ungefähr der sein. Zuerst treten 4. Hauptkandidaten auf: Fazy, Briatte, Fornerod, Bontems. Der erste &. letzte werden allmählich aus der Wahl fallen. Von den dießfälligen Stimmen werden aber Fornerod alle Bontems-Anhänger &. ein Theil der Votanten für Fazy zufallen. Man gibt sich für Fornerod viel Mühe. Furrer portirt ihn förmlich mit Leidenschaft; auch Kappeler, Schwarz &. Blumer nehmen sehr für ihn Partei. Im Ständerathe zieht er; denn er erhielt von 34. Stimmen 31. zur Präsidentschaft. Zwar wird ihm manche dieser Stimmen bei der Bundesrathswahl mangeln; allein diese Vorwahl übt doch immer eine gewisse Impression aus. Wenger sähe lieber | Briatte, allein Fornerod sei ihm auch recht u. s. f. Die Neuenburger werden zu großem Theil auch für Fornerod stimmen. Man schildert Briatte als invalid, Fornerod als tüchtigen Arbeiter.
Nun noch einige varia. Vater Pestalutz hat als Alterspräsident im Ständerathe fungirt &. dabei seine Bekanntschaft aller 3. Nationalsprachen durch selbsteignes Vorlesen der ital. Kreditäre an den Tag gelegt. – Drueys Verlassenschaft ist insolvend, Defizit von 18,000 Fr., die Waadtländer wollen es indeß decken. – Weder ist noch nicht angekommen. Ein heitres Element hat dagegen der Ständerath in Salis erhalten, Bavier hat mir eine quasi väterliche Ueberwachung desselben in Freud &. Leid anempfohlen; ein schwieriges Amt. – Das Bundesgericht etc. hat sich Sonntags unter Näfs Anführung per Extrapost nach Solothurn verfügt &. dort manches Freudlein genossen. Brosi kam auf Verlangen samt Gepäck wieder mit uns nach Bern. Blumer hat so viele Hoch ausgebracht, daß er heute absolut heiser ist. Hermann &. ich schossen &. zwar beide mit ziemlichem Glück. Papa Fuog bestieg mit einem durch Umwerfen des Postwagens erhaltenen Loch im Kopf die Tribune &. schwatzte allerlei Unsinn et cetera et cetera.
Das Papier geht zu Ende; ich habe nur noch Raum, um Wünsche für Deine Genesung &. freundlichen Gruß anzufügen, womit schließt
Dein
J. Dubs.