



Bern den 18 Febr 1855
Mein lieber Freund!
Endlich finde ich ein ruhiges Sonntag-Nachmittag-Stündchen, in welchem ich Dir einige Zeilen schreiben kann, während es draußen abwechselnd auf das Glatteis hinunter schneit, rieselt u regnet u der Biswind ganz ungezogen haust! –
Schon lange habe ich vernommen, daß du krank seyest u gewiß täglich an dich gedacht. Wie ich vernehme bist du noch immer in Zimmer Arrest u ich vermuthe, daß du vor der warmen Frühlings-sonne schwerlich ganz quitt werdest. Ich bedaure nicht nur dein phy-sisches Leiden, sondern fühle auch, wie drückend es dir seyn muß, bey deiner Masse von Geschäften in deinem Hang zur Arbeit so ge-hemmt zu seyn, zumal du seit langen Jahren keine ernstliche od. hartnäkige Krankheit zu bestehen hattest. Möge es für lange Zeit die letzte seyn, möge aber auch die Mahnung der Natur nicht fruchtlos an dir vorübergehn, daß du nicht allzusehr auf deine Kraft trotzest, sondern dir etwas mehr Ruhe gönnest! – Jedermann weiß, daß du nicht wegen Diätfehlern u Excessen krank bist: glaube mir, daß Nachtwachen u Nachtstudien auf die Dauer sehr nachtheilig wirken u daß die regelmäßige nächtliche Transpiration des Körpers besonders auch in Stunden vor Mitternacht für deine Umstände gewiß ganz ersprießlich wirken müßten. – |
Bei uns geht es leidlich diesen Winter, außer daß meine l. Frau seit einiger Zeit von heftigen Schmerzen des Kopfes auf der einen Seite desselben befallen ist. Sie meint, dieselben seyen gichtischer Natur, während der Arzt sie ins Gebiet der Nervenleyden verweist u als das sogenannte halbseitige Kopfweh oder die Mi-graine taxirt. Bis jetzt trotzte das Übel allen Mitteln u kehrt periodisch wieder in einzelnen Stunden des Tages od. der Nacht. Trotzdem verliert sie in den lichten Zwischenräumen ihren humor nicht u macht etwa einen Witz, gegen dein Portrait gewandt!
Für meine Person will ich nicht klagen, obwohl ich in meinen zwey Departementen wie ein armer Hund arbeiten muss. –
Mit der Politik siehts nach allen Richtungen bedenklich aus u bei den großen Ereignissen, die noch bevorstehen mögen, ist es schwer, einen sicheren Compass zu finden u demselben folgen zu können. Schreite man rechts od. links, so kann man in schwere Prü-fungen hineingezogen werden. Die Conjuncturen können eben bedeutend ändern u was jetzt gut erscheint, wird sich vielleicht in einigen Monathen als schlecht herausstellen. Mir scheint vor der Hand nur soviel klar, daß, wenn die Schweiz nach reiflicher Überlegung sich zu einer bestimmten Politik im Laufe dieser Ereig-nisse bekennen u wählen muß, sie dann mit Begeisterung u Aufopferung dazu stehn, wie es einem unabhängigen Volke geziemt. Für einstweilen scheint man im Bundesrath einstimmig der Meinung zu seyn, daß ohne ganz überwiegende Gründe, die noch gar nicht in der jetzigen Constellation liegen, die | Neutralität um jeden Preis festgehalten werden soll. Es versteht sich übrigens von selbst, daß wir Behufs einer maaß-gebenden Entscheidung die Bundesversammlung einberufen würden, zumal jetzt fataler Weise nur unser fünf sage vier sind.
Mit dem Oestr. Conflict wird es schlecht endigen. Bis zum
letzten Bericht aus Mailand (vor 8–10 Tagen) beharrte Oestreich immer noch auf seinen ursprünglichen Beh Begehren puncto Kapuziner,
entweder Wiederaufnahme derselben od. lebenslängliche Pension von 300 f per Kopf nebst Entschädigung für Wohnung. Dabei
will es nichts wissen von Entschädigung der ausgewiesenen Tessiner,
also nicht einmal compensando! – Du wirst begreifen, daß wir
darauf nicht eingehn können, sondern, wenn's nicht bald besser kommt,
unsre Abgeordneten zurückberufen. Die pointe liegt aber an
einem andern Ort. Oestreich will mit dieser Hartnäkigkeit die
Tessiner nur zwingen, wegen Pollegio u Ascona mit den Bischöfen
abzumachen; wäre dieses geschehn, so glaube ich, würde dann Oest-reich mit dem Kapuzinerhandel coulant werden. Allein es ist
beßer, wenn Tessin dort nicht nachgiebt; denn es wäre dieses eine
völlige Abdication der Souvränität, während die Wiederauf-nahme der Kapuziner nicht so qualifizirt werden könnte, sondern
nur als ein Nachgeben gegenüber der vis major. Gehts nun hier
schlecht, wie ich immer voraussah, so kann die Regierung v. Tessin nach meiner Ansicht sich nicht halten, zumal wenn die nächsten Wahlen gegen sie ausfallen. Viel klüger wäre es gewesen, sie
hätte schon im November sich zurückgezogen. Die Rolle, die
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sie spielt, ist über alle Begriffe perfid. Seit Jahr u Tag
sucht sie durch alle möglichen krummen u zugleich einfälltigen Mittel sich im Sessel zu erhalten u alles ist nur darauf be-rechnet, theils die Schuld u Verantwortlichkeit auf die Eid-genossenschaft zu werfen, theils Galgenfrist zu erhalten.
Im November machte sie alle möglichen Wahlintriguen u berief
zur Erbitterung des Landes ohne alle Noth Truppen zusammen
zur Zeit der Wahl; dann ließ sie den Großen Rath in offner
Sitzung die bekannte unbedingte Vollmacht ertheilen, die natürlich von Gewehrstrecken sich kein Haar unterscheidet; dann zwang
sie uns förmlich zu der Delegation nach Mailand, indem sie
behauptete, ganz bestimmt zu wissen, daß die Disposition jetzt
sehr gut sey; ihr Organ, die Democratia, betrügt seit Wochen
das Volk, indem sie behauptet, die Unterhandlungen gehn sehr gut,
während sie das Gegentheil wissen. Endlich verzögern sie auf
die gesetzwidrigste Weise die Wahlen. Wir haben die Beförderungen der letztern jetzt verlangt. Denn sollte eine außerordentliche Bund-desversammlung nöthig werden u jene beiden Kreise nicht reprä-sentirt seyn, so gäbe es nicht Wasser genug, um den Bundes-rath rein zu waschen. –
Doch es ist jetzt genug von diesen ärgerlichen Geschichten; ich will sie auch nicht vermehren durch die Werbungsgerüchte, Ochsenbeiniaden us. w., sondern schließen mit dem herzlichen Wunsch, daß du bald wieder gesund werdest u mit der Bitte, uns alle deiner Mama bestens zu empfehlen.
Herzlich grüßend Dein
Dr Furrer
Notabene: Du mußt dich nicht mit einer Antwort bemühn, wenn du es nicht wegen politicis absolut nothwendig findest.