Zürich den 4 Dcemb 1854.
Lieber Freund!
Ich erhielt diesen Morgen einen Brief1 von Monnard2 den ich dir zur Einsicht mittheile. Du siehst daraus daß Hr Monnard schwankend ist aber doch nicht abgeneigt einem Rufe unter zusagenden Bedingungen zu entsprechen. Er zeigt jedenfalls großes Intereße für unsre Anstalt wie mir seine Informationen über verschiedene an ihn gerichtete Fragen beweisen. Ich will gerne vernehmen was du über die von ihm gestellten Anfragen für Ansichten hast.
ad.1.3 Lebenslängl. Anstellg kann keinen Anstand finden
ad.2.4 Dieser Punkt ist etwas schwierig wenn es sich um eine förmliche Stipulation5 handeln soll. Doch scheint es mir – so fern die Zustimmung des Bundesraths erhältlich wäre – nicht gerade absolute unzuläßig. Merkwürdiger weise ist in einem Briefe6 v. Culmann7 der ebenfalls heute eintraf ganz die gleiche Forderung gestellt indem er sich ein Minimum von 2000 Fr. für den Fall der Anwendung von Art 328 gesichert wißen möchte. – Schade daß nicht | im Gesez selbst ein Minimum von etwa der Hälfte des Gehalts aufgenommen worden ist.9 Sonst wie du siehst ist Cullmann zu erhalten was ich für das Ingenieurwesen besonders Eisenbahnbau für sehr erwünscht ansehe.
ad 3.10 Man wird nicht wohl anders als auf d. Maximum gehen können, wenn man auf Monnard zählen will.
ad 4.11 Nach dem Prospektus12 v. Deschwanden13 sind für franz. Litteratur 8 Stunden angesezt.
ad 5.14 Nein.
ad 6.15 Darüber kannst du die beste Auskunft geben.
ad 7.16 Wohl keine andere als daß er auch an der Universität Vorlesungen halten kann?
Es kommt mir immer vor für franz Litteratur allein sei eine Profeßur wohl viel. Wir könnten für andere Profeßuren – was wohl zu beachten wäre – gewinnen wenn man Monard für Schweizergeschichte u. Litteratur zugleich mit einer Unterrichtsstundenzahl von etwa 10 hätte berufen können. Ich kann mir nicht denken daß man mehr als 4 à 5 Stunden für franz. Litteratur u. eben so viel für Schweizer-Geschichte Vorträge halten werde. | Wie ich hörte soll Hottinger17 nicht auf eine Stelle am Polytechnikum reflectiren u. selbst finden er sei zu alt höre nicht mehr wohl u. sw. –
Monnard der Verfaßer der Schweizergeschichte18 wäre ganz geeignet die beiden Profeßuren zu vereinigen. Wenn man in solchem Fall auf 5 vielleicht 6000 Fr. gehen müßte für beide Profeßuren zusammen so wäre es immer noch Gewinn als wenn für jedes Fach eine besondere Profeßur besoldet wird. –
Nöthigenfalls könnte ich vielleicht persönlich die Sache mit Hottinger besprechen? – Da im Uebrigen wenig Aussicht ist irgend welche tüchtige Kräfte französchr Zunge zu gewinnen so wäre es jedenfalls der Anstalt sehr förderlich wenn Monnard kommen würde. Für Maschinenlehre & Maschinenbau haben sich in der lezten Zeit ebenfalls günstige Aussichten geöffnet auch wenn Weisbach19 dem ich gestern geschrieben nicht kommen sollte. ( Pohl20 in Weimar &. Zeuner21 in Freiberg.)
Gestern war Bolley22 bei mir. Ich sondirte ein wenig ob er nicht die pharmazeut. Chemiestelle übernehmen könnte. Er verneinte es ganz entschieden u. äußerte, wenn man auf ihn denken | wolle so könnte er nur die technische Chemie über nehmen. 23 Er sei nicht Apotheker! Für seine Kenntniße in technischer Chemie könnte er die ersten Autoritäten anführen wie Liebig24 u. andere. Er werde mir übrigens seine Schriften einsenden. Pharmazeut. Waarenkunde könnte er noch weniger übernehmen als pharmazeut. Chemie; von Knapp25 – von dem er vielleicht schon etwas verlauten hörte – sagte er er habe einen überaus schlechten Vortrag. – Eine Trennung in der Weise daß er einzelne Spezialitäten der technsch. Chemie übernehmen könnte fand er unzuläßig. –
Ich habe übrigens schon am Samstag nach München u. an Bunsen26 in Heidelberg um nähere Informationen über Knapp geschrieben. Bei der Stimmung die übrigens vorläufig im Schulrath sich kund gab finde ich etwas bedenklich sich zu viel einzulaßen ehe man weiß wie im Schulrath die Mehrheit sich ausspricht. – Die Stellung die Bolley bisher eingenommen hat macht diese Sache etwas schwierig. Gerne will ich auch hierüber deine Ansichten vernehmen.
Sehr günstig sind die Informationen Monnards über Brunn27 – Ich lege den Brief28 v. Ritshl29 bei u. ersuche dich nur mir diese Briefe beförderlichst wieder zurück zu schicken um sofort die weitern Correspondenzen zu besorgen. Von Nägeli30 immer noch auf 2 Briefe keine Antwort! Es dürfte daher doch am Plaze sein wenn Du von dir aus als Freund ihn fragen würdest: Er soll wenigstens eine Antwort geben damit wir wißen woran wir mit ihm sind. Sein Schweigen sei etwas befremdlich.31 – Die Ernenng zur Conferenz nach Bregenz32 nehme ich an weil mir Näf33 schreibt sie werde nur Einen Tag dauern u. wir mit unsrer Bahn bei dsen Schiffahrtsvhältßen betheiligt sind.34 Mit herzlichem Gruße
Dein
Kern.|
Der Antrag betreffend Zeuner geht morgen od übermorgen an den Bundesrath ab. Ich muß noch einige Notizen über seine bishergen Leistungen u. s. w. v. Marschall35 erwarten. –36
Kommentareinträge
1 Vgl. Brief Charles Monnard an Johann Konrad Kern, 1. Dezember 1854 (ETH-Bibliothek SR3).
2 Charles Monnard (1790–1865), ordentlicher Professor für romanische Philologie an der Universität Bonn. – Monnard nahm den Ruf ans Polytechnikum nicht an. Auf den Lehrstuhl für französische Sprache und Literatur wurde probeweise A.-P. Nicard gewählt. Vgl. Oechsli, Polytechnikum I, S. 203–204.
3 «Bundesgesetz. Art. 15. Pourrais-je être au bénéfice de l'exception, c. à. d. nommé à vie?» Brief Charles Monnard an Johann Konrad Kern, 1. Dezember 1854 (ETH-Bibliothek SR3).
4 « Art. 32. Pourrais-je obtenir d'une manière strictement stipulée que la partie de mon traitemt allouée comme pension ne serait pas inférieure aux deux tiers?» Brief Charles Monnard an Johann Konrad Kern, 1. Dezember 1854 (ETH-Bibliothek SR3).
5Stipulation: im römischen Recht eine feierliche, mündlich getroffene Vereinbarung vor Zeugen; allgemein: eine vertragsmässige Festsetzung.
6Brief nicht ermittelt. – Vgl. Prot. eidg. Schulrat, 9. November 1854, 11. Dezember 1854.
7 Carl Culmann (1821–1881), bayrischer Ingenieur, Sektionsbauingenieur beim bayerischen Eisenbahnamt. – Culmann übernahm den Lehrstuhl für Ingenieurwissenschaften am Polytechnikum und hatte diesen bis zu seinem Tod inne. Vgl. Oechsli, Polytechnikum I, S. 177–178, 341.
8«Falls ein auf Lebenszeit gewählter Professor ohne seine Schuld, also z. B. wegen Alters, Krankheit u. s. w. andauernd außer Stand ist, seinen Verrichtungen gehörig obzuliegen, so kann er auf sein Gesuch hin, oder auch ohne dieses, von dem Bundesrathe, auf den Antrag des Schulrathes, in den Ruhestand versezt werden. Dabei ist einem besoldeten Professor ein Theil seiner Besoldung als Ruhegehalt auszusezen.» Bundesgesetz Polytechnikum, Art. 32. Vgl. Reglement Polytechnikum, Art. 79.
9Im Entwurf zum Polytechnikumsgesetz der Kommission des Nationalrats vom 7. Januar 1854 war in Art. 66 ein Minimum des halben Gehalts im Falle der Pension vorgesehen. Vgl. Entwurf eines Bundesgesezes, betreffend Errichtung einer eidgenössischen polytechnischen Schule, wie derselbe aus den Berathungen der Kommission des Nationalrathes hervorgegangen ist, in: BBl 1854 I, S 132.
10 «Le traitement fixe serait-il de 5000 francs?» Brief Charles Monnard an Johann Konrad Kern, 1. Dezember 1854 (ETH-Bibliothek SR3).
11 «Quels cours et combien de leçons devrais-je donner?» Brief Charles Monnard an Johann Konrad Kern, 1. Dezember 1854 (ETH-Bibliothek SR3).
12Dokument nicht ermittelt.
13 Joseph Wolfgang von Deschwanden (1819–1866), Rektor und Lehrer für Mathematik an der Industrieschule Zürich.
14 «Les leçons seraient-elles obligatoires pour une partie des élèves?» Brief Charles Monnard an Johann Konrad Kern, 1. Dezember 1854 (ETH-Bibliothek SR3).
15 «Obtiendrais-je, comme vous me l'avez fait espérer, le titre de professeur à l'université de Zurich?» Brief Charles Monnard an Johann Konrad Kern, 1. Dezember 1854 (ETH-Bibliothek SR3).
16 «Quels rapports avec l'université résulteraient de ce titre?» Brief Charles Monnard an Johann Konrad Kern, 1. Dezember 1854 (ETH-Bibliothek SR3).
17 Johann Jakob Hottinger (1783–1860), ordentlicher Professor für Schweizer Geschichte an der Universität Zürich.
18 Monnard übersetzte «Des Schweizerlands Geschichte für das Schweizervolk» von Heinrich Zschokke und die «Geschichten schweizerischer Eidgenossenschaft» von Johannes von Müller ins Französische und führte letzteres Werk in 5 Bänden weiter («Histoire de la Confédération Suisse»). Vgl. HLS online, Monnard Charles.
19 Julius Weisbach (1806–1871), Professor für angewandte Mathematik, Mechanik, Bergmaschinenlehre und allgemeine Markscheidekunst an der Bergakademie Freiberg.
20 Richard Pohl (1826–1896), Privatgelehrter, Musikkritiker und Schriftsteller. – Pohl hatte ursprünglich Mathematik und Mechanik studiert, sich nach einem Studium der Philosophie dann aber ganz der Musik zugewandt.
21 Gustav Zeuner (1828–1907), sächsischer Physiker, Privatlehrer für Mathematik und Redaktor der Zeitschrift «Der Civilingenieur». – Zeuner übernahm den Lehrstuhl für Mechanik am Polytechnikum. Vgl. Oechsli, Polytechnikum I, S. 180–181.
22 Pompejus Alexander Bolley (1812–1870), Rektor und Professor für Chemie, Physik und technische Mineralogie an der Gewerbe- und Kantonsschule Aarau. – Bolley übernahm den Lehrstuhl für technische Chemie, pharmazeutische und forensische Chemie, Agrikulturchemie und Toxikologie am Polytechnikum. Vgl. Oechsli, Polytechnikum I, S. 184–186.
23Nachträgliche Notiz von dritter Hand: «Zürich den 4ten Decbr 1854. | Dr. Kern. –»
24 Justus von Liebig (1803–1873), Professor für Chemie an der Universität München.
25 Friedrich Ludwig Knapp (1814–1904), Professor für technische Chemie an der Universität München.
26 Robert Wilhelm Bunsen (1811–1899), Professor für Chemie an der Universität Heidelberg.
27 Heinrich Brunn (1822–1894), Privatdozent für Archäologie an der Universität Bonn.
28Brief nicht ermittelt.
29 Friedrich Ritschl (1806–1876), ordentlicher Professor für Philologie an der Universität Bonn.
30 Carl Wilhelm Nägeli (1817–1891), ordentlicher Professor für Botanik an der Universität Freiburg i. Br. – Nägeli übernahm den Lehrstuhl für allgemeine Botanik am Polytechnikum. Vgl. Oechsli, Polytechnikum I, S. 192–193.
31 Nägeli entschuldigte sich mit Brief vom 4. Dezember für die ausgebliebene Antwort. Vgl. Brief Carl Wilhelm Nägeli an Johann Konrad Kern, 4. Dezember 1854 (ETH-Bibliothek SR3).
32Nachträgliche Korrektur, ursprünglich: «Bern».
33 Wilhelm Matthias Näff (1802–1881), Bundesrat (SG).
34Vom 1. bis 16. Oktober 1855 fand in Bregenz eine Konferenz der Bodensee-Anrainerstaaten zur Reglementierung der Bodenseeschiffahrt statt. Delegierte der Schweiz waren Kern (TG), Johann Matthias Hungerbühler (SG) und Johann Friedrich Peyer im Hof (SH). Diese reichten dem Bundesrat am 16. November 1855 ihren Schlussbericht ein. Vgl. Johann Konrad Kern an Alfred Escher, 9. Juli 1855; Prot. BR, 14. Dezember 1855; Krumholz, Geschichte, S. 45–49; Zur Eisenbahngeschichte, Die Nordostbahn und die Bodenseeschiffahrt.
35Person nicht ermittelt.
36Ergänzung am Rand der dritten Seite.