Hochgeehrter Herr & Freund!
Vorgestern haben wir offizielle Berichte von London erhalten, wonach unsre Capitalisten beschloßen haben, alle eingegangene Verbindlichkeiten zu erfüllen sowohl bei der Südost- als Lucmanier bahn, namentlich auf 1sten Novbr die 20% einzuzahlen und sofort die Südostbahn in Angriff zu nehmen. Herr [Gurney?] & Cie sind sodann nach Turin abgereist, um auch die Lukmanier Affaire definitiv zu ordnen. – Dem Prospectus und die eigentliche Actienemission en Detail behalten sie sich auf später vor, dagegen werden die Haupthäuser ihr Actienquantum en gros anbringen und die statutarischen Verbindlichkeiten übernehmen (Haftbarkeit bis auf 50% usw.). Somit waren wir auf festem Boden. – Denn da alle Actionairs noch jüngst sich zurückziehen konnten ohne es zu thun, so dürfen wir auf die Einzahlung rechnen. –|
Seitens der Regierung von St. Gallen ist uns dagegen vor ca 5 bis 6 Tagen, ehe man dort wußte, wie es in London [tönt?] die Aufforderung zugekommen, allen groß räthlichen Bedingungen ein Genüge zu leisten ansonsten man nicht einzahlen werde, namentlich aber nicht auf die Zürcher Bedin gungen einzutreten und den st. gallischen Interessen zuwider Verpflichtungen einzugehen usw. Wir haben geantwortet, man habe uns zwei Bedingungen gestellt, die am Ende auch keine seien. Auf diese hatten wir mit Hinweisung auf die Statuten auf sofortige Einzahlung gedrungen und im Übrigen den ausführenden Organen die definitive Antwort überlaßen. –
Weiteres habe man von uns nichts begehrt und wir daher nichts concedirt, wie wir denn überhaupt in Rechtsstreitigkeiten zwischen den beiden Kantonen dato nicht einzutreten aufgefordert seien, noch nur dazu engagirt hatten.|
Wir rechneten daher auf die pünctliche Ein zahlung von allen Seiten und damit punctum. – Seither ist nichts mehr angelangt. Es war offenbar ein Schreckschuß. – Zürich kann sicherlich diesen Machinationen gegenüber nicht besser operiren, als jezt sofort als wircklicher Actionair beizutreten. Mittlelst Constitui rung der Gesellschaft wird St. Gallen weitaus am meisten paralysirt! Ihre Bedingungen, Ihr Hinhalten usw führt dagegen gewiß nur zu vollkommenen Complicationen! Sie können Hungerbühler gar keinen größern Dienst erweisen, als Angriffspuncte für [Häcken?] aufzuwerfen. – Wie die Sachen jezt stehen ist ein definitives Beitreten und Einzahlen ergo Mitstimmen beim Unternehmen sicherlich das Allerpractischste das Sie thun können Damit schlagen sie die Rheinlinie und Hungerbühlers stratageme total nieder. – Es wäre daher Jammerschade, wenn Sie vom 1sten Novbr an nicht zu uns gehörten! – Dixi et salvavi animam meam! |
Also das Oltenerloch wäre veraccordirt! Da ist es bös mehr stopfen. – Wenn der Bötzberg nicht zu Stande kommt gewinnt die Rheinlinie via Friedrichshafen und namentlich via Schaffhausen etwas, denn über Basel und Olten nach Chur ist der Umweg zu groß; die Badenser werden dagegen möglichst weit auf ihrer Bahn die Güter führen ergo über Waldshut hinaus gehen. – Deßhalb lebe ich des Glaubens daß früher oder später doch directe von Zürich nach Basel gedampft werden wird. Jedenfalls hoffe ich noch die erste Dividende der Südostbahn auszu zahlen, ehe die Oltener eine Locomotive gesehen. Dieser Wunsch hat mich belebt seit der Zeit, wo die eidgen. Commission uns Bündner in 1ster Linie mit 15jährigem Zusehen gestellt!! – Ob mein fernerer Wunsch, im Oltenerloch mein Pferd einmal weiden zu sehen sich ebenfalls erfüllen wird, weiß ich freilich nicht. Item «suum cuique», den Baslern ihre Sache, aber dem Osten auch seine Zukunft. – In einem Jahre wird sichs ungefahr herausstellen, wie weit es Jeder gebracht. Eines ist sicher – der sofortige Einsatz der Zürcher Million auf 1sten November wird sich lohnen! Nun muß ich aber verreisen nach Reichenau Sie eiligst noch hochachtungsvoll grüßend von Ihrem
[...?]
A R v Planta
Chur den 20sten Octbr1
Zum Schluß der schweiz. Eisenbahncomödie reichen sich am noch Basel und Zürich via Bötzberg die Hand. – Ob in einem oder 10 Jahren? müßen wir gewärtigen.
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