Bern den 30 Sept. 1853.
Mein lieber Freund!
Es scheint, daß die Feinde der Lukmanierbahn ihre Minen bis in den Bundesrath hinein graben wollen. Heute legte das Departement1 (Stellvertreter Hr Näf2 ) den Entwurf einer Genehmigung der Concession von Tessin vor, in der Meinung, daß man sogleich darauf eintrete, weil die Bedingungen ja stereotyp die nämlichen sind, wie bei andern Bahnen. Da verlangte Herr D.3 die Ansetzung eines andern Tages, weil die Sache zu wichtig sey u Herr O4 verlangte die Überweisung an sein Departement, weil bey dieser Bahn, wie bei keiner andern, militärische Rücksichten ins Auge zu fassen seyen. Natürlich mußte man diese Über weisung beschließen. Allein dieser Vorgang beweist, daß sich im Bundesrath eine Opposition findet. Ich melde dir dieses, weil ich zur Zeit nicht weiß, wie Herr Frey5 denkt, u weil ihr gewiß Mittel u Wege findet, etwa auf ihn einzuwirken. Denn wir bedürfen seiner nothwendig zu einer Mehrheit, insofern O u D. wirklich gegen die Bahn auftreten sollten. Es scheint mir übrigens, der Bundesrath möge beschließen, was er | wolle, so werde man rekurriren, um die letzten Truppen ins Feld zu führen.6 –
Ihr spielt uns wieder einen schönen Streich mit der Anstellung des Hrn Schweizer 7 . Dahin kommt man, wenn die Bundesversammlung bei der Besoldung unsrer wichtigsten Stellen so knauserig ist.8
Da gestern Abend die große eidgenössisch-diplomatische Abfütterung statt fand9 , so wirst du mir verzeihen, wenn ich mich etwas kurz faßte.
Herzlich grüßend
Dein
F J
Kommentareinträge
1Gemeint ist das Post- und Baudepartement; dessen Vorsteher war Josef Munzinger (1791–1855) (SO).
2 Wilhelm Matthias Näff (1802–1881), Bundesrat (SG), Vorsteher des Politischen Departements.
3 Henri Druey (1799–1855), Bundesrat (VD), Vorsteher des Finanzdepartements.
4 Ulrich Ochsenbein (1811–1890), Bundesrat (BE), Vorsteher des Militärdepartements.
5 Friedrich Frey-Herosé (1801–1873), Bundesrat (AG), Vorsteher des Handels- und Zolldepartements.
6Die Debatte in der Bundesratssitzung vom 30. September 1853 hat im Protokoll keinen Niederschlag gefunden. – Die Lukmanierkonzession wurde vom Bundesrat am 7. Oktober 1853 gegen den Antrag des Militärdepartements, diese Konzession nicht zu sanktionieren, genehmigt. Vgl. Prot. BR, 7. Oktober 1853; Aus den Verhandlungen des schweizerischen Bundesrathes (vom 7. Oktober 1853), in: BBl 1853 III, S. 523–524; Jonas Furrer an Alfred Escher, 7. Oktober 1853. – Ein Rekurs in dieser Sache konnte nicht ermittelt werden.
7 Georg Friedrich Schweizer (1815–1869), Kursinspektor der schweizerischen Generalpostdirektion, wurde am 28. September 1853 zum Generalsekretär der Schweizerischen Nordostbahn ernannt. Vgl. Prot. Dir. NOB, 28. September 1853 (S. 17); Andreas Rudolf von Planta an Alfred Escher, 16. Oktober [ 1853 ].
8Bei der Neuausschreibung der Kursinspektorenstelle am 6. Dezember 1853 wurde das Jahresgehalt mit 3600 Franken angegeben. Der Verwaltungsrat der Schweizerischen Nordostbahn sprach Schweizer hingegen ein Jahresgehalt von 5000 Franken zu. Vgl. Inserate, in: BBl 1853 III, S. 692; Prot. Dir. NOB, 2. Dezember 1853 (S. 136).
9Am 29. September 1853 wurde in Bern ein Diner für das diplomatische Korps ausgerichtet. Vgl. Intelligenzblatt für die Stadt Bern, 1. Oktober 1853.