Verehrtester Herr & Freund!
Ich hatte schon lange vor, Ihnen einen Eisenbahnbericht zu senden. Aber ich lebe dato in stiller Einsamkeit in der kühlen Wildniß des Oberengandins und fühle und erlebe mit Horatz das «Beatus ille, qui procul negotiis» etc. und bin daher äußerst schlecht postirt zum Eisenbahnmoniteur. Wenn ich doch in dieses Thema eintrete, so geschieht es rein nur aus Gewissenspflichten Ihnen gegenüber!
Daß die RagatzerConferenz die Marotte hatte mich , den Bürger von «Dahinten», zum Eisenbahnvorspann zu creiren werden Ihnen die Zeitungen gemeldet haben. – All meine Mahnungen halfen nichts, indem sonst Keiner so gutmüthig sich dazu hergeben wollte.
Seither haben wir uns zunächst mit Sammeln und Revidiren der vorhandenen Materialien befaßt und gedencken dann mit Nächstem den eigentlichen Operationsplan zu entwerfen. – Die St. gallisch-roschachische Methode von sofortigen Zeichnungen werden wir nicht befolgen, sondern unser Streben geht dahin, die Privatactien rentabel zu machen. –|
Zu diesem Behufe werden wir zunächst auf Verminderung der Baukosten abzielen und die Gemeinden für Expropriation, Material usw in Anspruch nehmen. –
Da eine Zinsengarantie und Staatsbau nicht erhältlich sind, möchten wir es sodann mit dem preußischen System versuchen, wonach die Kantone und Corporationen (Chur, Bayern ?, Würtemberg ? usw) einige Millionen an Actien zeichnen und zu Gunsten der Privatactien auf die Dividende dafür verzichten müßten, bis diese ihre 4% hätten. – Bei so ziemlich sichern Aussichten hoffen wir dann die übrigen Millionen aufzutreiben. Im Ganzen brauchen wir 12 M. fr. fr. Ob wir damit reüssiren, wissen die Götter. – Es wäre uns daher natürlich äußerst lieb, wenn unsre Linien oder wenigstens die Churer–Wallenstadter in ein größeres Unternehmen einverleibt würde oder man wenigstens auf den mit uns verbündeten Puncten in der Eisenbahnfrage vorrücken würde. – Daß wir daher mit Spannung auf Zürich blicken, versteht sich von selbst. –
Sollten bei Ihnen Combinationen im Werck sein, welche uns zur Aufmunterung und zum| Nutzen dienen könnten, so werden Sie uns sehr verpflichten, wenn Sie uns davon in Kenntniß setzen laßen wollten. – Denn das brauche ich Ihnen nicht erst zu sagen, daß wir gern mit unsern natürlichen Verbündeten in genauem Einverständniße vorschreiten möchten. – Am 12ten d. M. wird in Ragatz eine 2te Conferenz stattfinden. Da ich aber erst Ende des Monats nach Chur gehe, so überlaße ich einstweilen die Direction meinem Stellvertreter.
Bis zur nächsten Bundesversammlung gedächten wir, falls die Großen Räthe im Novb sich gut halten, mit einem Conzessionsbegehren einzukommen. Ich fürchte aber sehr, St. Gallen sei durch die Roschach–Wyler Parthei und unser Große Rath durch die Freunde der unvollendeten Verbindungsstraßen, endlich Chur durch die Furcht einer spätern Weiterführung der Bahn parallisirt. – Sonst sollten von dorther im Ganzen 3 bis 3½ Mill. Actien gezeichnet werden. Um von Chur nach Wallenstadt zu kommen brauchen wir nur 4½ Mill., die überdies schon nach dem jetzigen Verkehr 3% rentiren würden, sodaß diese Strecke wohl zu erstellen wäre, wenn St. Gallen nichts in den Weg legt. Falls nun von Zürich aus in entsprechendem Sinne mit jener Linie| etwas geschieht, so wird es immerhin dem Zustandekommen derselben Vorschub leisten. – Mit seinem «zugewandten Ort» Glarus steht aber Zürich so im Verkehr, daß dorthinauf wohl auch etwas geschehen dürfte. – Wenn man daher St. Gallen zwingen würde zu Gunsten von Roschach Wyl 2, von Roschach –Wallenstadt –Ragatz 1½ und von Weesen Rapperswyl ½ Mill. Secundaactien in obigem Sinne zu nehmen, so würden auf diese Weise fast alle Theile St. Gallens gewonnen und überdies Ihre und unsre Interesse wesentlich befördert werden. – St. Gallen muß aber daran glauben, wenn es nicht von Romanshorn, Feldkirch und Fluelen überflügelt werden will. Da alle Landestheile dabei interessirt sind, so wird der Große Rath wohl auch wollen, sofern man ihm entgegenkommt. Der Anstoß liegt aber an Zürich. Wenn Sie mit 2½ Mill. bis 3 der Nordbahn für Waldshut –Aarau zu Hülfe kommen, mit ebensoviel die Winterthurer bahn poussiren und ½ Mill. für Rapperswyl Weesen bestimmen, so wird Glarus wohl noch ½ Mill. hinzufügen und das ganze östliche Netz kommt zu Stande in einer Weise, wo die Regierungen stets noch in allen Actionairsversammlungen die entscheidende Stimme behalten. – Mit Ihren 3 Mill. Gulden alte Straßengelder können Sie aber viel machen! «Beati possidentes!»| Wenn nur die armen Papierdrachen in Oestreich so gut daran wären, wie wir, so ginge es auch im Süden flotter. Aber denen geht nächstens der Athem aus und überdies nimmt das Beamtenvolk nicht gehörig raison an. Die Zürcher Dampfschiffgesellschaft macht es aber nicht besser. Wenn der Splügen dem Gotthard nicht sofort den Rang abläuft, so liegt die Schuld hauptsächlich an der Engherzigkeit womit sie den Nachtcurs verweigert. – Mit einem solchen würde die Route sich bedeutend heben können. Auf dem Vierwaldstädter See haben sie 3–8 Course täglich! – So schreibt man mir in aller Angst heute von Chur, man wolle die Eisenbahnfahrten nach Como so einrichten, daß die Splügeneilfuhr fast unmöglich würde. Ich mußte diesfalls über Hals und Kopf eine Depesche an Negrelli abfertigen, die aber wohl zu spät ankommt da Alles schon beschloßen ist. –
Diesem Nothschreiben wollen Sie nun gütigst die Eilfertigkeit des gegenwärtigen beimessen. Mit der Presse gedencken wir nicht Lärm nach Außen zu machen, sondern mehr belehrend nach Innen zu wircken. – Im Übrigen leben wir von der Hoffnung, obschon auch unser Eisenbahnhimmel, wie der wirckliche, sehr oft umwölkt ist und kühlende Regen – maßenweiss auf uns herabsendet. – Die Baslerberichte wircken geradezu wie eierdicke Hagelkörner! –
Wenn Sie daher aufmunternde Winke und Rathschläge als lindernden Balsam uns zukommen laßen könnten, so würden Sie unendlich verpflichten Ihren freundschaftlichst grüßenden
treu ergebensten
Andr Rud v Planta.
Samaden den 10ten Septber 1852.