Zürich d. 16. Febr. 1851.1
Lieber Freund!
Deine Mittheilungen2 bestens verdankend (leider kamen sie zur Benutzung für den Landboten zu spät, indeß werde ich dann die Eisenbahnangelegenheit mehr insgesammt behandeln), kann ich Dir leider von hier aus sehr wenig Angenehmes mittheilen.
Gestern hatten wir Festkommission &. es machte die Festumzugskommission derselben die Mittheilung, daß bis dahin nur 329. Personen sich definitiv zur Theilnahme gemeldet &. daß aller Wahrscheinlichkeit nach der Zug nicht zu Stande kommen könne. Indeß werde sie ihr Werk einstweilen fortsetzen. Als Gründe der Theilnahmlosigkeit wurden angeführt: Mißverständnisse (in der Stadt, wo selbst für die Partie: Zünfte &. Constaffel sich bloß etwa 50. gemeldet), Indolenz ab Seiten des Landes u. s. f. Die Festkommission beschloß einmüthig einen Aufruf, Darstellung der Bedeutung dieses Theils des Festes u. s. f., wie Du in der N.Z.Z.3 lesen | wirst. Gleichzeitig bearbeiten Bollier &. ich nach allen Seiten hin die Matadoren der Landschaft, besonders auch Winterthurs, wo sich bisanhin 13. gemeldet! Natürlich ist nun diese Gleichgültigkeit des Landes das passende Feigenblatt für bösen Willen dahier. – Zwingli4 war mit diesem Beschluß sehr befriedigt &. glaubte nun das Beste versprechen zu können. Wollens erwarten. Eventuell wäre ich dafür, um den Eindruck des Nichtgelingens dieses Theils zu paralysiren, die dafür ausgesetzte Summe noch für die Jugendfeste zu verwenden. – Heute finden nun fast auf allen Zünften Versammlungen statt.
Der Beschluß bezüglich der Illumination macht in der Stadt großen Rumor. Die Tagblattsbombardements5 wirst Du gelesen haben (das Tagblatt ist im Distelzwang6 ). Gegenwärtig spricht man von einer Kirchgemeindsversammlung zu massenhaftem Nichtilluminiren. Das Krazquartier erklärt heute schon im Tagblatt, daß es nicht illuminiren werde. – Gestern | Abends war Versammlung der Konservativen Notabeln &. heute früh (Hr. Zehnder7 theilt uns dieß so eben durch Cirkular mit) erschienen die Herren Direktor Escher-Heß &. Oberstlt. Muralt8 als Deputation bei Zehnder &. eröffneten ihm, daß die Bürgerschaft wahrscheinlich insgesammt nicht illuminiren werde &. zwar sei die Stimmung entschieden gegen die Illumination, wenn sie auch auf einen andern Tag verlegt würde (natürlich, denn für Dr. Furrer &. Dr. Steiger9 die Stadt Zürich zu illuminiren, denke Dir dieß haarsträubende Gefühl in der Brust eines Zopfs!). Zehnder schrieb sehr deh- &. wehmüthig, wie man ihn gegen seine Ueberzeugung zu dem unglücklichen Stichentscheid gedrängt, Anträge stellte er indeß nicht. Bollier schrieb darunter, die Sache sei durch frühere Beschlüsse erledigt; ich ebenso; bei den andern läuft das Cirkular erst.Zehnder hat also Muth &. Kopf verloren, Keller10 ist ganz übergetreten, Gottlob aber doch Zangger wenigstens bis dahin festgeblieben. Mit dem liberalen Jkr. Mejer ist es soweit gekommen, daß er mich nicht einmal mehr grüßt &. beständig schweigend murrt.
Gestern Abends kam ich nach beendigter Festkommission aufs Café lit. 11. Bald erschien auch Spyri12 &. wie ich alsobald aus | seinen Worten errieth, aus der obbezeichneten konserv. Versammlung. Ich erfuhr von ihm durch verschiedne Reizungen, daß ein absolut schlechter Geist in der Versammlung geweht habe; nur Wenige, darunter Direktor Escher &. er selbst, haben sich über den städtischen Gesichtspunkt erhoben. Dich lassen sie ziemlich aus dem Spiel &. Zehnder wird bedauert, weil er unter dem Terrorismus von Bollier &. mir stehe; wir seien die eigentlichen Unglücksmänner in der Kommission. Die Detailmittheilungen zeigten mir, daß sie über alle Worte in der Festkommission genau instruirt waren. – Spyri sagte mir zum Schlusse noch, ein radikales Mitglied der Festkommission (Karl Keller) habe ihm selbst gestanden, wenn das Fest fehle, so seien wir zu 7/8 Schuld; er (Spyri) habe erwiedert, er wolle die Schuld auf 5/8 reduziren &. die übrigen 3/8. dem Stadtrath zuschreiben!
Du ersiehst aus diesen Mittheilungen ungefähr die Situation. Mich persönlich alterirt alles das im Grunde nicht stark, ich glaube, die Stimmung werde sich von selbst bessern, wenn sie unsre Entschlossenheit sehen. Ich meinerseits bin fest entschlossen, keinen Zoll breit nachzugeben. | Das Fest soll einen kantonalen &. eidgenössischen Charakter haben &. der städtisch sonderbündische Geist muß mit Gewalt niedergekämpft werden. Je mehr die Frage zur politischen wird, um so fester ist mein Widerstand gegen Transaktionen, bei denen wir nur verlieren können. Wir brauchen uns unsers Standpunktes nicht zu schämen &. können ihn dereinst vor dem Großen Rathe &. dem Lande verantworten.
So sehr ich Deine Gegenwart manchmal wünschen würde, da sich an Dir die Wogen eher brechen würden, so freue ich mich zuweilen anderseits, daß Du durch Deine derzeitige Abwesenheit eine etwas freiere Stellung behältst &. nachher ein unbefangnes Urtheil abgeben kannst. Ein gemeiner Angriff in einem Inserat der heutigen Freien Stimmen13, der Dir wohl von andrer Seite mitgetheilt wird, wird Dich muthmaßlich nicht groß ärgern, da man über gewisse Stellen mit dem Tuch an der Nase schnell hinweggehen muß &. dieß Inserat riecht wirklich nach dem Abtritt.
Ich wünsche schließlich nur, daß Dein Aufenthalt in Bern angenehmer sei, als unser hiesiges in hohem Grade verbittertes Leben.
Herzlichen Gruß von
Deinem
J. Dubs.
Kommentareinträge
1Die Datierung auf Februar ist wohl irrig. Aufgrund des Inhalts muss die Niederschrift des Briefes im April erfolgt sein; der Poststempel trägt das Datum des 16. April 1851.
2Brief nicht ermittelt.
3Gemeint ist ein Artikel in Namen der Festkommission in der Rubrik «Täglicher allgemeiner Anzeiger». Vgl. NZZ, 16. April 1851.
4 Hans Caspar Zwingli (geb. 1797), Zürcher Stadtrat. – Zwingli war Mitglied der Festkommission und präsidierte die Festzugskommission. Vgl. Allgemeiner Anzeiger von Uster, 22. Februar 1851; Der Landbote, 27. Februar 1851.
5Gemeint ist wohl ein Artikel im «Tagblatt der Stadt Zürich», der die Illumination der Gebäude durch Private als unzumutbar darstellt und mit Klagen gegen den «Landboten» schliesst: «Uebrigens hat der letzte Landbote mit seinen grundlosen und kränkenden Verdächtigungen der Stadt wohl den Meisten die Lust genommen, irgendwelche fernere Opfer zu bringen ....» Vgl. Tagblatt der Stadt Zürich, 14. April 1851.
6Gemeint ist das «Gasthaus zum Distelzwang» in Bern.
7 Ulrich Zehnder (1798–1877), Regierungspräsident (ZH). – Zehnder war Vorsitzender der Festkommission. Vgl. Brühlmeier, Nation im Dorf, S. 62.
8 Hans Conrad von Muralt (1779–1869), Grossrat (ZH). – Muralt war Mitglied der Festzugs- und der Ballkommission. Vgl. Der Landbote, 27. Februar 1851.
9 Jakob Robert Steiger (1801–1862), Grossrat, Schultheiss und Nationalrat (LU).
10 Karl Keller (1814–1878), Professor an der zürcherischen Kantonsschule. – Keller war Mitglied der Festkommission. Vgl. Der Landbote, 27. Februar 1851.
11Gemeint ist das «Café Littéraire». Vgl. hierzu Eschers Aufstieg in der Politik (1842–1848), Absatz 12.
12Vermutlich Johann Bernhard Spyri (1821–1884), Grossrat (ZH), Redaktor der «Eidgenössischen Zeitung».
13Artikel nicht ermittelt.