Bern den 25 März 1850.
Lieber Freund!
Für Deine Bemühung in der gestern erwähnten Sache meinen Dank. Wir können allerdings unter Umständen in eine schwierige Lage kommen, nicht über den Zwek unsers Handels, sondern über den Zeitpunkt u die Mittel. Jener ist klar; wir werden unter allen Umständen die öffentliche Ordnung u die jetzigen, rechtmäßigen Behörden schützen u unterstützen, letztres zwar nicht aus Liebe (das wäre zu viel verlangt), sondern aus Pflicht u Grundsatz. Die jetzige Opposition der Regierung besteht eben aus drey verschiedenen Elementen: 1) dem Patriziat, was nicht viel sagen will; 2) den eigentlichen Conservativen; 3) den Liberalen, welche in Bezug auf die äußere Politik u vielleicht auch über einiges Innere andrer Ansicht sind. Im Falle eines Sieges würde diese Coalition natürlich wieder zerfallen u niemand weiß, wie die Angelegenheiten sich wenden würden. –
Diesen Morgen besah ich die zwey imposanten Auszüge zur Volksversammlung. Um 7 Uhr zog die Colonne der Opposition ab; es mögen mehrere 1000 Mann seyn, nebst den hießigen Bürgern hauptsächlich aus dem hablichern Bauernstand bestehend u ein Theil Studenten (wahrscheinlich die alten Zofinger). Nach 8 Uhr zog die Regierungsparthey ab, die, wie mir schien, noch um einige 100 Mann stärker war; wenig Bauern, viel Beamtete, Schreiber, Studenten, | meistens jüngere Leute; auch eine Anzahl fremde Gesellen u Flüchtlinge. Hieraus läßt sich auf die Stärke noch nichts schließen; weil bey tausenden von andern Richtungen her nach Münsingen zuströmen werden. Das unbegreifliche ist, daß sich Regierung u Obergericht so weit vergessen konnten, sich an die Spitze der PartheyAgitationen zu stellen. –
Hr Druey hat auf meinen Wunsch mit Hrn Stämpfli conferirt u ihn auf die Lage der Dinge aufmerksam gemacht. Dieser habe erklärt, daß gewiß beyde Partheyen alles mögliche thun werden, um Feindseligkten zu vermeiden; übrigens haben sie verschiedne Sicherheitsmaßregeln getroffen u werden alle Stunden von Münsingen Bericht erhalten. Gestern wurde von der Regierg nach Thun befohlen, Carlen v. Mühlematt abzu hören, der von einem Complott wissen soll. Die Regierung scheint über haupt die Idee zu haben, daß noch ein geheimes Comité existire. –
Gegen 2 Uhr. Soeben theilt uns Hr Revel die erste Estafette mit, datirt v. 11 ¼ Uhr. Die Opposition hat die Leuenmatt inne, ca 2 Jucharten u möge etwa 7-10,000 Mann stark dort stehen; es werde Speise u Trank gereicht. Die andern sind noch nicht dort u werden auch auf diese Zahl ansteigen (d. h. nach d. Meynung des Berichterstatters).
Gegen 3 Uhr. Die Sache ist ganz im Frieden abgelaufen. Die Oppositions parthey ist schon auf dem Heimweg. Sie betrug 10-12,000 Mann. Sprecher waren die Herrn Straub, Hans Schnell, Blösch, Fischer, Knechtenhofer. Das Programm wurde einstimmig genehmigt u ein WahlComité angeordnet. – Von der Regierungsparthey auf der | Bärenmatt sind die Sprecher u d. Beschlüsse noch nicht bekannt. Über die Anzahl dieser Parthey seyen die Meinungen verschieden, jedoch sey gewiß, daß die Menge nicht halb so groß sey, wie bey der Opposition.
Nach 3 Uhr. Soeben sehe ich vom Zimmer meines Bureaus die Oppositions-Ar mee in unabsehbarem Zuge zu 4 Mann hoch in bester Ordnung die Anhöhe herabkommen gegen die Nydek hinunter.
Mag es nun gehen, wie es will, so gereicht es dem Schweizervolk zur Ehre, auf diese Weise zu tagen. Man soll es in andern Ländern auch probiren, zwey solche Massen mit Stöcken versehen in zwey sehr feindlich gesinnten Lagern auf einige Minuten Distanz zusammenzustellen, ohne daß sie hintereinander kommen! – Der Tag ist zwar nicht vorbei; allein ich denke, da die Eine Parthey nach Hause ging, während die andre noch Berathung pflog u allein zurükblieb, so wird von einem Unfug en gros nicht mehr die Rede seyn können. –
Freundschaftlich
grüßend
Dein
F J
P. S. So eben bemerkt mir Hr Bischof, daß Hr Fischer v. Reichenbach ihm gesagt habe, er schätze ihre Zahl auf 8000 u die der Radicalen auf 3000.