Bern den 22 Octob. 1849.
Lieber Freund!
Deinen letzten Brief1 erhielt ich letzten Samstag u da ich dessen Inhalt, betreffend die Einladung der beyden Räthe zuerst dem Bundesrath vorlegen wollte, was gestern geschah, so kann ich Dir erst heute antworten. Ich theilte die Sache schriftlich mit, weil ich wegen Unpäßlichkeit schon seit acht Tagen das Zimmer hüte. Der Bundesrath beschloß, wie mir gestern Abend gemeldet wurde, daß eine eigentliche Einladung nicht erforderlich sey, daß er aber Behufs Vollziehung des Vertagungsbeschlußes die Traktanden mittheilen u bey diesem Anlaße an die Vertagung auf den 12 Nov. erinnern wolle.2 Ich finde den Beschluß in dieser Form nicht unpassend, obwohl man auch auf die von Dir vorgeschlagene Weise hätte verfahren können.
Was das Zollgesetz betrifft, so kann ich Dir auch jetzt noch den Tag der Einführung noch nicht bestimmen, indeß treiben wir soviel möglich daran, daß es noch vor der Bundesversammlung, etwa auf Anfang Nov. eingeführt werden könne.3 Es ist unglaublich, wie viel Vorarbeiten die Einführung eines solchen neuen Systems erfordert. Die Vollziehungsverordnung u die Instruktionen an die Beamten sind berathen u werden im Druk seyn, sowie auch die endlose Zahl von Formularen aller Art. u nächster Tagen sollten die Grenzstationen bestimmt werden.|
Mit der Münzgeschichte weiß ich mich bis jetzt nicht zurecht zu finden. Es fehlt mir durchaus an dem klaren Verständniß, dessen man sich bey einer gründlichen Auffassung bewußt ist; ich stoße an allen Ecken an u kann bis jetzt zu keinem auf fester Überzeugung beruhenden Urtheile gelangen. Die Sache hat auf allen Seiten ihre bedeutenden Schwierigkeiten u ich habe deßhalb schon in der Revisions-Commission immer eine Redaction durchsetzen wollen, welche es dem Gesetze wenigstens möglich gemacht hätte, zwey Systeme aufzustellen.4
Im politischen nicht viel Neues. Wir beschäftigen uns stark mit den Flüchtlingen u haben das Departement beauftragt, sich über die Stellung derselben im Aufstand, über ihre Lage u Zukunft Aufschluß zu verschaffen sowie dafür zu sorgen, daß sie Ausweisschriften zur Rükkehr erhalten, denn wir gedenken Anträge zu bringen auf Reduction der Eidg. Unterstützung auf gewisse Personen oder Klassen u die übrigen, die sich nicht selbst erhalten können, heim zu schicken. Denn unmöglich kann man das Asyl so weit ausdehnen, daß man hunderte oder tausende auf die Dauer erhalte u ernähre, worunter eine Masse, die entweder nichts zu fürchten haben oder etwa einen kurzen Verhaft. Es ist ein Unglück, daß die noch in der Schweiz befindlichen Hauptdemagogen u mit ihnen die hießigen Radicalen alles mögliche thun, um sie von der Rükkehr abzuhalten. Auch die franz. Gesandtschaft macht wieder große Schwierigkeiten mit den Pässen, | weil von etwa 130 nur ca 40 bey den Eingangsstationen sich gemeldet haben u die übrigen sonst in Frankreich sich verlaufen haben. – Es wird unter anderm auch mit Bestimmtheit behauptet, daß Siegel5 noch in Zürichs Umgebungen versteckt sey. –
Wichtige Ereigniße können in Genf bey den Wahlen eintreten. Ich kann Dir im Vertrauen mittheilen, daß gestern ein angesehner Genfer bey mir war, u mir die Sachlage auseinandersetzte. Man ist in Genf desFazyschen Regiments schreklich überdrüßig u will eine andre Regierung nicht aus Aristokraten, sondern Liberalen in unserm Schritt u etwa gemäßigten Conservativen. Dufour6 u Edouard Rigaud7, Bruder des Syndic8, sind an der Spitze der Liste. Die Sache scheint großen Anklang zu finden. Auf der andern Seite stützen sich Fazy9 u Consorten auf die untern Schichten des Volks, auf die Proletarier u auf die Flüchtlinge. Sollte nun bey Eröffnung des Scrutiniums, welche am 2ten Tage statt findet, die Mehrheit gegen Fazys Regiment ausfallen, so besorge man mit großer Bestimmtheit Gewalt u blutige That, Oktobertage, Barrikaden us. w. Die Revue hat öffentlich gedroht u an Carterets10 Banquet, an welchem eine Masse Fremdlinge aller Art Theil nahmen, sind ähnliche Drohungen geflossen. Vielleicht sind es nur Intimidations Mittel. Vor der Wahl soll noch eine Volksversammlung stattfinden. Das schlimmste wäre eine Theilnahme der franz. Revolutionairs aus dem Département de l'Ain, dessen Präfekt eine Woche in Genf war, um die Verhältniße zu überschauen. – Unsre Stellung wird da sehr schwierig. Von vorn herein kann man nicht interveniren auf bloße verbale Drohungen u | Demonstrationen der Partheyen u thut man gar nichts vorher, so kann viel Unglück begegnen, bis man dabei ist. Ob es wohl nicht anginge, in aller Stille einen Commissär mit allgemeinen Vollmachten abzusenden, jedoch so, daß er erst bey Eröffnung des Scrutiniums nach Genf käme, um sich im Fall von Unruhen sogleich zu präsentiren, den Landfrieden zu gebieten, die Wahlen zu leiten u nöthigenfalls Truppen aufzustellen? – Ich werde jedenfalls diese Sachlage einer confidentiellen Besprechung unterstellen. –
Jetzt muß ich schließen, der Weibel holt die Briefe ab. Auf baldiges Wiedersehen in Bern! Freundschaftlichen Gruß an Dich u meine übrigen Freunde.
Dein
F
P. S. Sey so gut, dem Ehrhardt gelegentlich zu sagen, er solle mir doch die Rechnung einsenden, die wir hier zu erlesen vergaßen
Kommentareinträge
1Brief nicht ermittelt.
2Die Frage nach der Notwendigkeit einer formellen Einladung für den Zusammentritt von National- und Ständerat im November 1849 stellte sich, weil die Bundesversammlung nach Vertagung der Session Ende Juni aufgrund der aussenpolitischen Lage bereits am 1. August wieder zusammenkommen musste. Flüchtlingswesen, Absatz 32.
3In Art. 56 des Zollgesetzes war der Bundesrat beauftragt worden, mit den Kantonen Verhandlungen über die Entschädigungssumme für die aufzuhebenden kantonalen Zölle zu führen und entsprechende Verträge abzuschliessen. Diese mussten anschliessend von der Bundesversammlung genehmigt werden. Dem Bundesrat oblag ausserdem die Festsetzung des Zeitpunktes, zu welchem das eidgenössische Zollsystem in Kraft treten würde (Art. 62). Vgl. Bundesgesetz über das Zollwesen und Zolltarif [vom 30. Juni 1849], in: BBl 1849 II, S. 481–483.
4Als Mitglied der eidgenössischen Revisionskommission war Furrer 1848 direkt an der Ausarbeitung der neuen Bundesverfassung beteiligt gewesen. In bezug auf das Geldwesen stipulierte der Verfassungsentwurf vom 8. April 1848 in Art. 34, Abs. 3: «Es ist Sache der Bundesgesetzgebung, einen schweizerischen Münzfuß festzusetzen [...].» Entwurf BV 1848, S. 198. – Die vom Grossen Rat des Kantons Zürch zur Prüfung des Entwurfs eingesetzte Kommission wurde von Alfred Escher präsidiert. Sie forderte eine offenere Formulierung, um die Koexistenz zweier Münzsysteme nicht vorzeitig auszuschliessen, «[...] weil es bedenklich erscheint, die Bundesgesetzgebung von vorn herein zur Festsetzung Eines Münzfusses zu zwingen, während dieses vielleicht ohne große Nachtheile nicht möglich ist» . Escher, Bericht BV 1848, S. 11.
5 Franz Sigel (1824–1902), badischer Flüchtling.
6 Guillaume-Henri Dufour (1787–1875), Grossrat (GE) und Nationalrat (BE).
7 Edouard Rigaud (1790–1861), Grossrat (GE).
8 Jean-Jacques Rigaud (1785–1854), ehemaliger Erster Syndic (GE).
9 James Fazy (1794–1878), Grossrat und Staatsrat (GE).
10VermutlichAntoine Carteret (1813–1889), Grossrat und Ständerat (GE).