Hochgeachteter Herr Bürgermeister!
Alls einen der biedersten Eidgenossen, wird es Sie wohl auch interessiren wie es an unserer Landesgemeinde1 gegangen ist. Leider kann ich Ihnen nur einen sehr fatalen Bericht erstatten, wir Liberale sind vollkommen geschlagen worden & die Reaction feiert nun ihren Sieg in Uri von wo auß sie sich, gleich frühern Jahren, sehr wahrscheinlich nach Luzern verbreiten wird; denn Vinzens Müller2 ist die Haupt Ursache dieses Sieges, & daß dieser Mensch nicht ruhen wird, bis sein Schwager der heillose Siegwart3 wieder in der Schweiz sein wird, ist keinem Zweifel unterworfen & die Zukunft wird diese, unter den wirklichen Verhältnissen gewagte Behauptung, nur zu gewiß rechtfertigen, denn ich kenne diesen Menschen & weiß was er im Schilde führt! –|
Was ich in Nr 126 der N. Z. Zeitung4 prophezeihete, ist nun ganz richtig in Erfüllung gegangen, unsere Aristokraten & Pfaffen haben, durch daß ihnen besonders eigene Mittel der Lüge & Verläumdung! uns alle Achtung beym Volke geraubt, indem man demselben sagte: wir halten nichts auf der hl. Religion & suchen sogar dieselbe zu vernichten wie alle Radikalen &s. w.! Es wurde daher, daß von den Dec. Landesgemeinden dem Landrathe übertragene Revisionsgeschäft diesem entrissen, weil sie wußten, daß wir im Landrathe bedeutenden Anhang haben; & einer auß den bornirtesten Sonderbündlern zusammen gestopelten Revisions Kommission übertragen! –
Mitglieder dieser Kommission, welche einige Bedeutung haben, sind: Landammann Dr. Lusser5, R.R. Infanger6, die alt Landammänner Vinzens Müller & Schmid7, der Ingenieur Müller8, Nationalrath Lusser9, die Ständeräthe Muheim10 & Christen11 | & endlich ein, sage ein Liberaler! in der Person des Herrn Statthalter Alex. Muheim12. Die Übrigen 12 sind unwichtige, jedoch sehr dienstbare Geister der Herren Schmid & Müller! daher sie auch gewählt worden sind um ja & amen zusagen. –
Die Gemeinde war trotz der schönen Witterung & all der Treibereien sehr schwach besucht & im ganzen gieng es ziemlich lax, viele der Anwesenden haben gar nicht gestimmt. Die Herrn Schmid & Müller spotteten des über sie schwebenden Prozesses13, & Müller sagte geradezu: man könne eben Nichts von Hochverrath finden, sonst würde man sie schon beym Kopf genommen haben & d.gl. Unsere 3 Deputirten14 statteten einen magern Bericht ab & machten sich wichtig, wie sogar Bundesräthe (?) so ungemein freundlich gegen sie seien & daß wir radikaler als jene seien. Diese Wichtigthuerei geschah blos um uns beym Volke noch mehr herunter zumachen, im Grunde aber sind unsere | unversöhnlichen Aristokraten, Jedem der nicht denkt & handelt wie sie, ist Ihnen verhaßt. Hoffendlich habe ich die Ehre Sie Titul! diese Woche noch kennen zulernen & bey diesem schönen Anlaße, werde Ihnen Mehreres mündlich mitzutheilen die Ehre haben. Indeßen empfangen Sie die Versicherung meiner tiefsten Hochachtung, mit welcher geharret
Ihr sehr zugethaner
Lusser
R.R.
Altdorf d. 7 Mai 1849
Verzeihen Sie die wenig elegante Außstattung den ich war beeilt.
Hr. Jauch15 grüßt Sie herzlich.
Kommentareinträge
✲Auf der ersten Briefseite oben ist eine Ansicht von Altdorf (UR) mit roten Verzierungen abgebildet.
1Gemeint ist die Urner Landsgemeinde vom 6. Mai 1849. Vgl. Luzerner Zeitung, 10. Mai 1849.
2 Vinzenz Müller (1812–1871), Rentier, alt Landammann (UR). – Müller war im Sonderbundskrieg Mitglied des Kriegsrats gewesen. Vgl. HLS online, Müller Vinzenz.
3 Konstantin Siegwart-Müller (1801–1869), ehemaliger Kriegsratspräsident des Sonderbundes. – Siegwart-Müller war einer der Anführer des Sonderbundes; nach dessen Auflösung flüchtete er ins Ausland und kehrte erst 1857 aus dem Exil zurück. Vgl. HLS online, Siegwart-Müller Konstantin; Umwälzung der alten Ordnung, Absatz 12; Umwälzung der alten Ordnung, Absatz 27.
4Gemeint ist ein mit «Urkantone. (Korr.)» betitelter Artikel. Josef Lusser äusserte darin die Befürchtung, dass die Konservativen an der Landsgemeinde vom 6. Mai 1849 die Einsetzung einer Revisionskommission durchsetzen könnten, um so die Revision der Kantonsverfassung den Händen des Landrates zu entreissen und den Einfluss der Liberalen zu schwächen. Vgl. NZZ, 6. Mai 1849; Institutionen, Strukturen, Prozesse, Politische Konfrontationen in einzelnen Kantonen.
5 Karl Franz Lusser (1790–1859), Landammann (UR).
6 Johann Andreas Infanger (1806–1870), Regierungsrat (UR).
7 Anton Maria Schmid (1792–1880), alt Landammann (UR).
8 Karl Emanuel Müller (1804–1869), Ingenieur. – Müller war im Sonderbundskrieg Mitglied des Kriegsrats gewesen. Vgl. HLS online, Müller Karl Emanuel.
9 Florian Lusser (1820–1889), Nationalrat (UR).
10 Jost Muheim (1808–1880), Landrat und Ständerat (UR).
11 Josef Fidel Christen (1803–1870), Ständerat und Kantonsrichter (UR).
12 Alexander Muheim (1809–1867), Landesstatthalter (UR).
13Gemeint ist der Landesverratsprozess gegen die Mitglieder und Beamten des Kriegsrats des Sonderbundes. Der Kanton Uri weigerte sich, einem Auslieferungsbegehren des mit dem Untersuchungsprozess beauftragten Kantons Luzern Folge zu leisten. Vgl. Bericht BR Geschäftsführung 1848/49, S. 118–121. – Zum weiteren Verlauf des Prozesses Vgl. Bossard-Borner, Spannungsfeld, S. 448–451.
14Gemeint sind die Urner Ständeräte Josef Fidel Christen und Jost Muheim sowie Nationalrat Florian Lusser.
15 Franz Jauch (1807–1867), Regierungsrat und Pannerherr (UR), Mitglied des Bundesgerichts.