Bern den 17 Jan 1848.
Lieber Freund!
Du wirst vernehmen, daß ich an den Reg.Rath schrieb u den Wunsch äußerte, seine Ansichten zu vernehmen über die wesentlichsten Punkte der Bundes Revision u die Hauptrichtungen, die ich einschlagen soll. – Nun habe ich aber die Ahnung, daß der Reg.Rath nicht sehr in die Sache hineingreifen, sondern mir ziemlich kurz oder gar deklinatorisch antworten wird. Deßhalb u weil Du wegen deiner staatsrechtlichen Studien u Vorarbeiten am besten befähigt bist, wende ich mich an dich mit der Bitte, mich mit deinem Rath u deinen Einsichten zu unterstützen, sey es daß du mir dieselben privatim1 zukommen lassen oder dem Reg.Rath als Vorschlag einer Quasi-Instruction vorlegen willst. – Ich will dir keineswegs bey deinen enormen Geschäften zumuthen, eine ganze Abhandlung zu schreiben, sondern wünsche nur eine kurze Bezeichnung der Momente, die man anstreben will nebst Andeutung der Gründe, da wo sie wenigstens nicht oben auf liegen. Es wäre mir unangenehm etwas fördern zu helfen, das dann im K. Zürich großen Anstoß finden würde; u | ich weiß wirklich in manchen wichtigen Punkten nicht, was bey uns die öffentliche Meynung verlangt. – Im Allgemeinen werden wir wohl thun, das beste anzustreben, dann aber auch das zweyte, dritte &c eventuell anzunehmen, damit doch irgend ein Fortschritt erzielt wird. –
Bollier war einige Tage hier u wir haben uns köstlich amüsirt; ich habe ihn noch nie so gesund u munter gesehn. Diesen Morgen verreiste er wieder nach Lucern. – In der vorörtlichen Leitung der Angelegenheiten herrscht große Confusion, u Trägheit; sie arbeiten wohl viel, aber kantonales u uns lassen sie sitzen u Zeit vergeuden.
Rüttimann geht nächste Woche nach Vivis, um Kriegsgericht zu halten2; dann sitze ich in diesem Jammer ganz allein; das fehlte noch zu dem Heimweh, das ich ohnehin häufig habe. –
Brändli3 schrieb mir heute, ich solle zur Brändli-MotionsCommission 4 nach Zürich kommen oder ihm auch meine Ansichten melden; ersteres ist mir jetzt kaum möglich, hingegen werde ich ihm wahrscheinlich über einige Gesichtspunkte schreiben. –
Meinen herzlichen Gruß zum Schluß
v Deinem
F J
Kommentareinträge
1Privatim (lat.): vertraulich.
2Drei Kriegsgerichte befassten sich mit den Vergehen während des Sonderbundskriegs: eines in Zürich, eines in Bern und eines in Bellinzona. Das Berner Kriegsgericht hielt zudem je eine Verhandlung in Lausanne und Vevey ab. Johann Jakob Rüttimann übernahm das Amt des Grossrichters des Berner Kriegsgerichts. Vgl. Feddersen, Regeneration, S. 554–555; Steiner, Militärjustiz, S. 120–121, 223–229.
3 Benjamin Brändli (1817–1855), Grossrat (ZH) und Kanzleisekretär des Bezirksgerichts Zürich.
4 Brändli forderte in der Grossratssitzung vom 22. Dezember 1847, dass die Möglichkeit eines Wechsels vom Kollegial- zum Departementalsystem im Regierungsrat und der Reduktion der Zahl der Regierungsräte geprüft werden sollte. Brändlis Forderungen, die mit seinem Studienfreund Escher abgesprochen waren, wurden in der Kantonsverfassung vom 20. Dezember 1849 umgesetzt. Vgl. Schmid, Zürcher Kantonsregierung, S. 146–155; Gagliardi, Escher, S. 93.