Praesidium & Praesentes omnes ut ante.1
Lieber Freund!
Meinen Dank für Deinen ausführlichen Bericht2 vom 6ten ! – Ich beeile mich, denselben zu beantworten, weil etwas darin ist, was mir einigermaßen Bauchweh macht – es ist der Vorschlag von O.3 in den Kriegsrath. – In Betracht seiner ungeheurn Susceptibilität4 wäre es besser gewesen, vorher die Wahrscheinlichkeit seiner Wahl zu constatiren, ehe man ihn über allfällige Annahme anfrug. – Die Sache hat nämlich ihre bedeutenden Schwierigkeiten. Eine Stelle ist vakant u eine zweyte kann es werden, wenn Hr Z.5 austritt, was vermuthlich geschehn wird, wenn die Tagsatzung ihm die bekannte Alternative stellt.6 – Nun haben wir außer O. als Candidaten Gmür, Frey-Herosé7, u Rilliet8; alle drey aspiriren sehr.9 – Gmür hat alles Recht, theils als frühres, bloß im periodischen Austritt befindliches Mitglied, theils wegen seiner Sachkenntniß u seiner Verdienste im Gaster10. Frey-Herose ist schon seit einiger Zeit Suppleant des Kriegsraths – er hat daher abgesehen von seiner Sachkenntniß u seinem enormen Fleiß alle möglichen übungsgemäßen Chancen; weniger ist dieses bey Rilliet der Fall. – So gern ich nun auch dem Hrn O. stimme, so ungern würde ich für ihn gegen Frey-Herose weibeln u Stimmen sammeln. – Wir sprachen in engern liberalen Kreisen schon mehrmals über die Schwierigkeit dieser Concurrenz, noch ehe man an O. dachte. Wenn ich nun vollends noch den Überfluß vermehre u Hrn O. vorschlage, so wird es viele lange Gesichter geben. – Was ich anständiger Weise thun kann, will ich gerne zB. offen dem Hrn O. empfehlen, aber nicht für ihn weibeln bey dieser Sachlage. Es wäre daher gut, wenn man rechtzeitig u auf umsichtige Weise Hrn. O. auf die Schwierigkeit der Sache aufmerksam machen könnte. – Dagegen habe ich ihn bereits bey| Hrn Ochsenbein11 als Commandant der Schule in Thun empfohlen, da Hr Burkhardt12 entlaßen wurde; hier ist es eher möglich, etwas auszurichten.13 –
Gestern Abend beschloß hier der Volksbund , an die Regierung von Bern zu petitioniren, daß sie als Vorort ohne weiters den Beschluß vom 20 Juli exequire!!14 – Diesen morgen hatte ich ohnehin an Hrn Ochsenbein allerhand zu schreiben; ich benutzte diesen Anlaß, um energisch gegen solchen Unsinn zu protestiren u zu erklären, daß höchst wahrscheinlich die ganze Schweiz ( excepto15 Waadt) sich gegen Bern auflehnen werde; die Consequenzen alle möge er erwägen. –
Morgen kommt ein Commissional Antrag zur Behandlung16; ich lege dir ein Exemplar zu deiner Erbauung bey.17 Ich bin unglüklich bestellter Referent u habe das Zeug abgefaßt; die Commission hat nur wenige Worte geändert. – Mache dich lustig damit. –
Für deine Berichte über die Stimmung in verschiednen Kantonen danke ich; es ist immer gut, wenn man solche sammelt. Allein viel Gewicht kann man nicht darauf legen; Zeit u Umstände aller Art können unendlich viel ändern, sodaß alles zu großer Täuschung wird. Über Eins aber muß man sich nicht täuschen, daß nämlich der Kampf ein sehr ernster würde, nicht weil das Volk sehr an Jesuiten u Sonderbund hängt, sondern weil es seinen Führern respective Verführern glaubt, es handle sich um seine politische Freyheit u Religion. – Und ein großer Theil wird es doch glauben wenn auch Eidg. Mißionäre amtlich das Gegentheil predigen würden. –
Es geht hier das sonderbare Gerücht, in Freyburg versammle sich| nächstens der Gr. Rath außerordentlich, um über den Rüktritt aus dem Sonderbund Berathung zu pflegen. Es kommt mir sehr unwahrscheinlich vor. Ein Moment allein dürfte sie dahin stimmen, nämlich die Erwägung, daß im Fall einer bewaffneten Execution natürlich die Jesuitenburgen mit ausgefegt würden. –
Grüße mir deine Familie u meine Freunde alle. – Adieu!
Herzlich grüßend
Dein
F J
Bern den 8 Aug 1847.
Du wirst begreifen, daß ich jetzt nicht Zeit habe, auf der Eisenbahn zu fahren; ich bin jetzt ein keuchender Fußbote. – Dagegen machte ich vor 8 Tagen mit meiner halben Familie eine 3tägige hübsche Reise nach Biel, Sonzeboz, Courtelari, St. Imier, Lachaux de fonds, Locle, Neufchatel u Murten. – Prachtvolles Wetter, zwey Sitzungen geschwänzt! –
Dieser Brief ist Schuld, daß ich nicht in die Kirche ging; ich wälze es feyerlich auf Dein Gewissen. –
Quibus discessum.18
Kommentareinträge
1Praesidium & Praesentes omnes ut ante (lat.): Vorsitz und alle Anwesenden wie zuvor.
2Brief nicht ermittelt.
3 Johann Konrad von Orelli (1799–1852), eidg. Oberst, Grossrat und Kantonskriegskommissär (ZH).
4Suszeptibilität: Empfindlichkeit, Reizbarkeit.
5 Paul Karl Eduard Ziegler (1800–1882), eidg. Oberst, Mitglied des eidg. Kriegsrats, Regierungs- und Grossrat (ZH).
6Es waren sogar drei Sitze im eidg. Kriegsrat vakant. Der Luzerner Rudolf Rüttimann (1795–1873) und der Freiburger Philippe de Maillardoz (1783–1853) mussten aufgrund ihrer Verbindungen zu Sonderbundskantonen als Mitglieder des Kriegsrats zurücktreten. Der konservative Zürcher Paul Karl Eduard Ziegler verweigerte die Teilnahme an den Kriegsratssitzungen, weil diese unter dem Vorsitz des Bundespräsidenten Ulrich Ochsenbein – dem Anführer des zweiten Freischarenzuges – stattfanden. Ziegler wurde am 28. August 1847 durch einen Tagsatzungsbeschluss aufgefordert, sein Fernbleiben zu erklären, worauf er darauf beharrte, unter Ochsenbeins Vorsitz nicht im Kriegsrat zu erscheinen. Am 3. September 1847 wurde Ziegler durch die Tagsatzung vom Kriegsrat ausgeschlossen. Vgl. Bucher, Sonderbund, S. 105–106; Siegwart-Müller, Sieg, S. 390–393.
7 Friedrich Frey-Herosé (1801–1873), eidg. Oberst, Tagsatzungsgesandter und Mitglied des Kleinen und Grossen Rats (AG).
8 Louis Rilliet (1794–1856), eidg. Oberst, Tagsatzungsgesandter und Staatsrat (GE).
9Am 9. September 1847 wurden die vakanten Stellen im eidg. Kriegsrat mit Frey-Herosé, Rilliet und Giacomo Luvini-Perseghini (1795–1862) besetzt. Vgl. Bucher, Sonderbund, S. 106.
10Bei den Wahlen in St. Gallen vom 2. Mai 1847 wurden im Bezirk Gaster sechs liberale Grossräte gewählt. Dadurch wurde das bislang bestehende Gleichgewicht im Grossen Rat zugunsten der radikal-liberalen Kräfte verändert und so die Auflösung des Sonderbunds durch die Tagsatzung ermöglicht. Gmür war als Bezirksammann Gasters an diesem Wahlsieg massgeblich beteiligt. Vgl. NZZ, 4. Mai 1847; Gmür, Oberst D. Gmür, S. 12–21; Dierauer, Politische Geschichte SG, S. 78-79.
11 Ulrich Ochsenbein (1811–1890), Tagsatzungspräsident und Regierungsrat (BE).
12 Johannes Burckhardt (1798–1855), eidg. Oberst.
13Im September 1847 wurde Orelli vom Kriegsrat zum Nachfolger Burckhardts bestimmt. Vgl. Lätsch, Militärische Ausbildung, S. 71.
14Am 20. Juli 1847 wurde von der Tagsatzung die Auflösung des Sonderbunds beschlossen. Umwälzung der alten Ordnung, Sonderbund (1845–1847).
15Excepto (lat.): ausgenommen, ausser.
16Trotz des Auflösungsbeschlusses vom 20. Juli 1847 kam der Sonderbund der Forderung der Tagsatzung nicht nach, und es gingen sogar Berichte über Rüstungsvorgänge in den Sonderbundskantonen bei der Tagsatzung ein. Es wurde deshalb beschlossen, eine Kommission einzusetzen, die sich mit der Sonberbundsfrage beschäftigen sollte. Mitglieder der Kommission waren Ulrich Ochsenbein (Präsident), Jonas Furrer, Josef Munzinger (1791–1855), Wilhelm Matthias Näff (1802–1881), Johann Konrad Kern (1808–1888), Giacomo Luvini-Perseghini und Henri Druey (1799–1855). Im Kommissionsantrag, den die Tagsatzung am 9. August 1847 behandelte, wurden die Sonderbundsstände unter anderem «ernstlich gemahnt, alles zu unterlassen, was den Landfrieden stören kann, und namentlich ausserordentliche militärische Rüstungen einzustellen» . Abschiede Tagsatzung 1847 I, S. 171. Vgl. Job, Sommertagsatzung 1847, S. 94–102.
17Beilage nicht überliefert. – Der Kommissionsantrag findet sich in Abschiede Tagsatzung 1847 I, S. 171–172.
18Quibus discessum (lat.): hiermit nehme ich Abschied.