Lieber Freund!
Ich schicke dir beyliegend einen Brief an Brosi mit der Bitte ihn zu lesen u uns allfällig auch deine (oder mehrerer Notabeln) Ansicht mitzutheilen. Aus zwey Gründen schlage ich diesen Weg ein:
1. Ganz das nämliche hätte ich dir schreiben müßen u so ist mir das verzweifelte Geschäft des Copirens erspart. Sit venia inertiae! –
2. Ich weiß nicht ob Brosi noch in Tarasp ist oder in Schiers. Sei so gut den Brief zu verschließen u denselben sous enveloppe an einen guten Freund in Chur zu schicken, damit er die Adresse vervollständige u den Brief spedire.
Gestern haben uns die Berner wieder einen heillosen Streich gespielt. Ohne uns ein Wort zu sagen, schlägt Schneider in momentaner Entfernung des Ochsenbein den letztern als Eidg. Obersten vor! – Du kannst dir unsre Verlegenheit u Indignation denken. Der gute Eindruk des Zwölferbeschlußes wird durch diese Tendenz großentheils vernichtet, u die Gegner werden zur Wuth getrieben; dazu kommt, daß es am gleichen Tage geschah, als wir die Motion behandelten, die sonderbündischen Eidg. Offiziere aus dem Stab zu streichen!! – Ist das nicht alle Unpartheylichkeit mit Füßen getreten? – Wird O. nicht gewählt, was sehr natürlich ist, so wird er compromittirt u ein neues Schisma ist da. Dieses geschah, wie gesagt, ohne unsre Ahnung, während wir sonst jeden Dr.. in den Conferenzen vorher ausmachen. – Natürlich machten| sich die Gegner wüthend über diesen Vorschlag her u verlangten, daß man ihn sofort verwerfe, gestützt auf den Freyschärler-radirenden Tagsatzungsbeschluß. Ich fand für gut, mein Erstaunen über diesen unerwarteten Vorschlag anzudeuten, trug aber darauf an, daß derselbe wie die übrigen an den Kriegsrath gewiesen werde, zumal ich gehört, daß O. nicht einmal die für einen Obersten erforderlichen Dienstjahre habe, was uns vielleicht einen Ausweg verschafft. Mein Antrag erhielt die Mehrheit. –
Jetzt weiß ich nichts mehr wichtiges. Unendlich viel Nebensachen hätten wir vielleicht zu besprechen; du kannst gewiß einmal uns besuchen. –
Lebe wohl! Meinen freundl. Gruß!
dein
F.
Rüttimann ist heute früh ins Oberland ganz allein –
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✲Datierung gemäss Archivnotiz.